Herr: Die Schattenherren 3 (German Edition)
Karat-Dor auftreiben ließ. Das illuminierte alles – mit Ausnahme des Kathedralhügels – in einer Helligkeit, als stünde die Metropole in Flammen. Vor den hohen Gästen wurden die Lichter gelöscht. Es wirkte, als fräße die Dunkelheit das Licht, als nähme die Finsternis ein leuchtendes Herz mit zwei Krallen in die Zange, um es zu zerquetschen. Die Langsamkeit der vorrückenden Kolonnen verstärkte den Eindruck. Hier nahte ein Raubtier, das sich seiner Beute sicher war und auf Hast verzichten konnte.
An den Toren der Kathedrale warteten die Kinder, denen man schon seit Tagen von der Glorie der Schattenherzöge erzählte, damit sich ihre Furcht auf die Besucher richtete. Mit dem Eintreffen von Xenetor und Lisanne würden sie rituell erdrosselt werden, ihre Essenz sollte die beiden nach der langen Reise erquicken. Einige waren Sprösslinge der edelsten Familien Karat-Dors. Ihre Eltern hatten um die Ehre gebuhlt, die Frucht ihrer Lenden zwei Osadroi darbringen zu dürfen, deren Statuen schon länger überlebensgroß auf der Kathedrale thronten, als der älteste Bewohner der Stadt lebte.
»Gläubigen fällt es leicht, die eigenen Kinder den Schatten zu opfern«, sagte Bren.
Ehla schluckte. »Götter haben Gläubige. In den Schatten gibt es Wissende. Solche, die erkannt haben, welche Ehre darin liegt, die Schatten zu stärken. Auch wenn kein Sterblicher hoffen darf, einen Dienst leisten zu können, der im Pulsschlag der ewigen Finsternis einen Unterschied machen würde.«
Das Verlöschen des Lichts verteilte sich wie ein Pilz, der über die Stadt wucherte, um sie zu ersticken. Die Krieger, die die Herzöge mitgebracht hatten, wichen vom direkten Pfad zur Kathedrale ab, um in den Kastellen Quartier zu nehmen.
»Und wann sind es genug Opfer?«
»Das bestimmen die Schatten in ihrer Weisheit.«
»Die Schatten, denen du dein ganzes Leben gegeben hast.«
Sie runzelte die Stirn. »Ich verstehe nicht, Bren.« Auf dieser Anrede bestand er. Sie hatte ihm im Gegenzug das ›Ihr‹ abgetrotzt. »Mein Herz schlägt noch. Wenn Ihr meint, meine Lebenskraft könne Euch von Nutzen sein, dann nehmt sie.«
Er grinste freudlos. »Eines solchen Opfers bist du also würdig? Dein Leben wäre dann in die Ewigkeit verlängert, nicht wahr? Wenn man es so betrachtet. Es würde in der Kraft meines unsterblichen Körpers aufgehen, mit ihm durch die Nächte getragen werden.«
Sie schluckte. »Wollt Ihr, dass ich mich stattdessen in den Abgrund stürze, bevor die Schattenherzöge eintreffen?«
Bren schauderte. »Für dich gibt es nur die Schatten und sonst nichts. Jede deiner Handlungen, jedes deiner Worte, all deine Gedanken, dein ganzes Streben gilt nur ihnen.«
Sie verbeugte sich so tief, dass ihre Stirn den Stein berührte. »Ihr erweist mir zu viel Ehre.«
Bren warf noch einen Blick hinunter auf die Stadt des verlöschenden Lichts. »Genieße den Anblick, solange du willst.«
Er ging an den Gargoylen vorbei zu der Treppe, die ihn ins Innere führte, wandelte durch die schattenerfüllten Gänge und betrat den Raum mit den Karten, auf denen die Stellungen der Truppen an der Südfront eingezeichnet waren. Hier wollte er Xenetor erwarten, wie der Bote des Schattenherzogs es erbeten hatte. Er nahm einen Essenzkristall vom Tisch, schloss die Augen und atmete die gefangene Lebenskraft ein. Kurz berauschte ihn ein Prickeln, das durch Nase und Hals lief, um sich in der Brust zu verteilen.
Er fand es angemessen, eine der beiden Lampen zu löschen und den Docht der anderen herunterzudrehen, sodass er nur mehr glomm. Dann nahm er in dem Sessel mit der hohen Lehne Platz, um seinen Schöpfer zu erwarten. In gewisser Weise war Xenetor durch die Rolle, die er in dem Ritual übernommen hatte, so etwas wie Brens Vater. Ein Vater, der sich bis heute nicht um seinen Sohn gekümmert hatte. Zugleich war er Bren immer präsent gewesen – er spürte ihn, wenn auch auf unbestimmte Weise. Und jetzt fühlte er Xenetor nahen.
Bren saß reglos, als wäre er aus Obsidian gemeißelt wie die sieben Schattenherzöge, die sich auf den Zacken der Kathedrale erhoben. In diesem Teil des Gebäudes hielten sich keine Kleriker auf, sie waren damit beschäftigt, die Zeremonie der Ankunft würdig zu begehen. So hörte Bren die Schritte lange bevor sich die Tür öffnete.
Xenetors Gardisten blieben auf dem Gang. Der Blick des jahrtausendealten Mannes war starr wie der einer Schlange auf Bren gerichtet, die Narben in seinem Gesicht nur wenig dunkler als die
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