Herr: Die Schattenherren 3 (German Edition)
musste zu Lisanne, musste sie daran hindern, zu tun, was immer sie mit dem Haken vorhatte! Hastig glitt er an dem Hindernis entlang, um einen Zugang zu finden. Es gelang ihm nicht.
Er zog die Nebelform zusammen, verfestigte sie zu seinem Körper aus totem Fleisch. Je enger er sich zusammenzog, desto stärker näherte sich seine Sicht derjenigen an, die er von seinen körperlichen Augen gewohnt war. Er sah eine Einfriedung, die ihm bis zur Brust reichte, viel niedriger, als das Hindernis in der Wirklichkeit des Mystischen erschien. Sie warf das Sternenlicht hell zurück. Dahinter waren Bäume auszumachen, auch sie nicht außergewöhnlich, und einige verstreute Kuppelbauten.
Lisanne war sicher durch ein Tor gegangen, aber damit hielt sich Bren nicht auf. Er rannte zu der Mauer, sprang ab und setzte darüber hinweg.
Ein Friedhof! Unverkennbar, jetzt, da er die Grabsteine sah! Die Gebäude waren Krypten für Reiche und Edle, die einfacheren Bürger hatte man in die Erde gelegt.
Wo war Lisanne? Wo Kirettas Haken?
Bren wagte nicht, hier in die Nebelform zu wechseln. So schloss er die Augen und spürte in sich hinein.
Er fühlte die Präsenz von Lisannes Finsternis in der Nähe, aber die Richtung konnte er nicht bestimmen. Zu dominant war der göttliche Segen, der auf diesem Ort lag. Er bedeckte alles, wie Wasser eine versunkene Stadt. Halt!
Nicht alles …
Er konnte etwas ausmachen.
Weder Lisanne noch Kirettas Haken, aber doch etwas, das er kannte. Das war … Nalaji, die Priesterin! Er hatte sie in den Wetterbergen gespürt, und auch hier spürte er sie. Wenn sie hier war, dann durfte er hoffen, dass auch Kiretta hier war. Oder sollte er das fürchten? Kiretta wäre durch Lisannes Nähe in großer Gefahr!
Mit einem verzweifelten Schrei rannte er, wohin sein Gespür ihn leitete, über Gräber und Büsche hinweg.
Tatsächlich, da war die alte Frau! Sie war gestürzt, und sie hatte Silber bei sich, wie Bren mehr fühlte als sah. Es war in einem Sack, den sie auf dem Rücken getragen hatte und der ihr wohl zu schwer geworden war. Aber das Mondmetall interessierte ihn jetzt nicht.
Er hockte sich neben sie, packte sie am Arm und riss sie so hart in die Höhe, dass sie vor Schmerz aufschrie. »Sag mir, wo Kiretta ist, und du wirst leben!«, rief er.
Sie starrte ihn an.
»Wo ist sie?«, brüllte er. »Schnell!« Er verstärkte seinen Griff.
Ihr Oberarmknochen brach. Sie schrie vor Schmerz.
»Rede!«
Mit beachtlicher Willenskraft bewegte sie den gesunden Arm, bis ihr zitternder Finger auf das größte Gebäude zeigte. Es stand im Zentrum des Friedhofs. »In der Krypta der Paladine. Aber die Schattenherzogin ist dort.«
Bren schleuderte sie fort und rannte los. Hätte er sich etwas von ihrem Silber sichern sollen? Als Waffe gegen Lisanne?
Zu spät! Da war sie. Selbst in diesem Moment fand er sie überirdisch schön. Sie hielt die Augen geschlossen und den monströs erscheinenden Haken mit halb gestreckten Armen vor sich, als sei sie eine Kompassnadel, die sich auf ihr Ziel ausrichtete. So trat sie unter das säulengestützte Kuppeldach.
Beinahe gleichzeitig durchquerten sie das offen stehende Tor, Lisanne würdevoll schreitend und mit einem edlen schwarzen Kleid angetan, Bren splitternackt und so schnell rennend, wie es seine Beherrschung des Osadro-Körpers zuließ.
»Halt!«, rief er.
Lisanne ging noch zwei Schritte weiter, bevor sie stehen blieb. Sie senkte die Hände und bewegte den Kopf, bis sie Kiretta direkt anblickte.
Brens Geliebte war mit Ketten an einer Säule zwischen Vorrichtungen gefesselt, die dem Aufbahren von Särgen dienen mochten, nun aber von Silbergegenständen überquollen. Wer war so dekadent, in Zeiten, in denen kaum noch Silber verfügbar war, Leuchter und Schmuck daraus zu fertigen? Einige der mit Reliefs versehenen Platten mochten an Rüstungen Verwendung gefunden haben, aber es waren auch Ketten darunter, die eindeutig noble Hälse geziert hatten. Aberglaube, um ihre Trägerinnen vor magischer Beeinflussung oder gar den Schatten selbst zu schützen? Immerhin waren die meisten Gegenstände Silberklingen – Messer, Dolche, einige Schwerter. Die Heiligkeit dieses Ortes musste die Sinne der Osadroi wirklich vollkommen blenden, sonst hätten sie eine solche Ansammlung meilenweit gespürt.
Kiretta kämpfte sichtlich gegen den Drang an, trotz ihrer Ketten vor Lisanne auf die Knie zu fallen. »Bren!«, rief sie. Nur dieses eine Wort, und doch lag alles darin. Der Schmerz der
Weitere Kostenlose Bücher