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Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich!

Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich!

Titel: Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Corin
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gegen die Wand drückte. Wahrscheinlich unter Schock. „Niemand darf den Raum betreten.“ Für den Fall, dass der Schütze noch einen Schuss losließ.
    Darcy nickte, wischte sich Catchs Blut aus den Nasenlöchern und Augen, dann bemerkte sie Toms Wunde. Mit der rechten Hand zog er seine Glock aus dem Schulterholster, stürmte zur nächsten Treppe, nahm drei Stufen auf einmal, rannte durch den vierten Stock und musste nicht befürchten, sich zu verlaufen – er brauchte einfach dem Kreischen zu folgen.
    Die Wunde in seiner linken Schulter kreischte genauso laut. Er wusste, dass es sich nicht nur um eine Fleischwunde handelte. Die Kugel steckte in seinem Muskel. Blut durchtränkte seinen linken Ärmel. Tom, Linkshänder, versuchte den Schmerz zu ignorieren, während er zum Schwesternzimmer rannte.
    Die Schwestern lagen auf dem Boden – unverletzt. Das Kreischen kam von den Patienten der Krankenstation. Vom Sicherheitsdienst war niemand zu sehen – wahrscheinlich halfen sie den Rangers bei der Sperrung der Ausgänge.
    Die Tür zu Zimmer 426 stand weit offen.
    Brocken aus der Decke lagen auf Curly McCues Bett. Curly hatte ein Loch in der Stirn. Seine Augen waren geschlossen. Er hatte gewusst, was auf ihn zukam.
    Der Sniper war verschwunden.
    „Welche Richtung?“, bellte Tom den nächstbesten Krankenpfleger an.
    „Ich …“
    „WELCHE RICHTUNG?“
    Doch niemand antwortete. Entweder wussten sie es nicht – oder hatten zu viel Angst, um zu sprechen. Tom ging zurück ins Schwesternzimmer und rief den Sicherheitsdienst an.
    „Haben Sie ihn?“ Doch da wusste er schon, wie die Antwort lauten würde.

6. KAPITEL
    Rafe kaufte seiner Frau zum Valentinstag eine Blume fürs Handgelenk. Dafür verbrachte er einen Großteil seiner Arbeitszeit in der Schlange beim Blumenladen um die Ecke. Offenbar waren alle verheirateten Männer auf Long Island mindestens genauso romantisch wie unsicher, für welche Blume sie sich entscheiden sollten.
    „Eine hellgrüne Nelke“, bestellte er. Die hatte Esme auch in ihrem Hochzeitsstrauß gehabt, somit befand er sich auf der sicheren Seite. Er wollte nichts falsch machen, nicht heute. Die Floristin befestigte die empfindliche, noch mit Wassertropfen gesprenkelte Blume an dem Plastikarmband.
    Das Armband legte er in den Kühlschrank im Aufenthaltsraum der Fakultät. Vorher klebte er ein gelbes Post-it mit seinem Namen daran, in der Hoffnung, mögliche Diebe abzuschrecken (obwohl er wusste, dass in der akademischen Welt kein Besitz – vor allem kein geistiger – jemals heilig war). Glücklicherweise blieb die Blume tatsächlich unangetastet, und um 17:30 Uhr trug er sie (und eine schwere Tasche voll mit Studentenreferaten) zu seinem Saab.
    Es war ein langer Fußmarsch. Rafe war außer Atem, als er seinen Wagen endlich erreichte. Das arktische Wetter half auch nicht gerade; er spürte, wie seine Ohren und Hände bei jedem Windstoß schmerzten. Wie seltsam, dachte er, dass sowohl extreme Hitze wie auch extreme Kälte die Haut rot färbten. Doch Rafe Stuart war Soziologe. Er analysierte Demografie und Memetik. Anatomie befand sich zwei Häuser weiter in einem länglichen, gebogenen Gebäude, das entfernt (und irgendwie passend) an Raumschiff Enterprise erinnerte.
    Rafe schleuderte die Tasche in den Kofferraum, legte die Blume aber sehr, sehr vorsichtig auf den Beifahrersitz. Er war ein bisschen nervös. Romantik war nicht gerade seine Stärke. Viel lieber waren ihm ruhige Abende zu Hause, wo er nicht ständig den Casanova geben musste. Er liebte seine Frau sehr, wahnsinnig sogar, doch diese typischen Dinner-und-Kino-Rituale, die die Gesellschaft einem abverlangte, verabscheute er zutiefst. Vor allem an Tagen wie diesen. Romantik, so glaubte er, sollte Privatsache bleiben. Doch heute war Valentinstag, deswegen gab es also das Armband (um seiner Frau eine Freude zu machen) und das „Il Forno“ (um Pasta bei Kerzenlicht zu essen). Alles für Esme. Alles.
    Auf dem Heimweg steckte er im Stau. Er blickte in den Rückspiegel auf den Krawattenknoten. Er war noch in der Universität in einen Anzug geschlüpft, doch mit dem Krawattenknoten stimmte was nicht. Er kippte irgendwie nach links. Sobald er auf der Hauptstraße war und die erste Ampel erreicht hatte, versuchte er den Knoten zu richten. Lockern – gerade richten – festziehen. Nein, neuer Versuch. Eine Meile fahren bis zur nächsten Ampel. Lockern – gerade richten – festziehen. Fast, aber noch nicht ganz, oder? Eine halbe Meile, er

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