Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich!
bedeutet, dass du mehr tust, als nur deine Meinung abzugeben. Solange du drei Tage bleibst, bist du nur eine Beraterin. Wenn du länger bleibst, werden sie anfangen, auf dich zu zählen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich recht habe.“
Sie schüttelte den Kopf. Aber er hatte tatsächlich recht.
„Eines möchte ich klarstellen“, empörte sie sich. „Du wirst mir niemals wieder – niemals! – ein solches Ultimatum stellen! Denkst du vielleicht, dass es mir nicht schwerfällt, zu gehen? Du hast gesagt, was du denkst, und du hast recht. Drei Tage. Aber ich habe das entschieden.“
7. KAPITEL
Am Abend des 14. Februar, während junge Liebespaare sich küssten und alte Liebespaare schmusten, war Darcy Parr auf der Suche nach Medikamenten. Claritin, Zyrtec – jedes Antihistamin war ihr recht. In Amarillo einen Drugstore zu finden, der nach 22 Uhr noch geöffnet hatte, war allerdings nicht leicht. Irgendwann landete sie in einem Walmart.
Sie war froh, mal aus dem Hotel herauszukommen. Nicht dass sie einen Koller bekommen hätte. Aber Tom Piper lag in seinem Zimmer zwei Stockwerke tiefer, und sie konnte einfach nicht aufhören, über den Nachmittag nachzudenken.
Sie machte sich Vorwürfe.
Das Krankenhaus hatte zu ihrem Aufgabengebiet gehört. Sie hatte sich um die Koordination im Leichenschauhaus kümmern sollen, und das befand sich nun mal im Baptist St. Anthony’s. Dass der Fire Chief somit ebenfalls zu ihrem Zuständigkeitsbereich gehört hatte, musste nicht erst erwähnt werden. Niemand sonst aus der Task Force war im Krankenhaus stationiert. Der Sniper hatte sich hineingeschlichen, während sie Dienst hatte. Der Zeuge war ums Leben gekommen, während sie Dienst hatte. Sein Blut klebte an ihren Händen.
Und in ihrem Gesicht … und Haar …
Nein. Sie hatte alles unter der Dusche abgewaschen. Oder? Ja.
Sie sah in den nächsten Spiegel – der an einen Ständer mit Sonnenbrillen geklebt war: nein, kein Blut mehr. Saubere Poren, das blonde Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie sah aus wie eine Studentin, nicht wie jemand, der gerade …
Hör auf damit, Darcy! Hol dir deine Medizin. Du kannst vielleicht auch eine E-Mail an Pastor Joe schreiben, wenn du wieder im Hotel bist. Der schläft nie, und er sagt immer genau das Richtige. Pastor Joe von ihrer Kirche zu Hause in Virginia, wo sie aufgewachsen war. Die meisten Leute in der Kirchengemeinde waren Spione, Agenten und FBI-Ausbilder. Eine Laufbahn beim FBI war somit vorherbestimmt gewesen. Aus diesem Grund war sie überhaupt erst in Tom Pipers Sondereinheit aufgenommen worden.
Im Gang mit den Medikamenten gab es auch Grußkarten. Wie passend. Sie brauchte nicht lange, um ihren Korb mit Antihistaminen zu füllen. Sie warf sogar eine Schachtel Sudafed Rachenpflaster dazu, nur für den Fall.
Zwar gab es in Amarillo nicht besonders viele Pollen, und der Februar war auch nicht gerade ein besonders schlimmer Monat für Allergiker, weshalb sie ja auch ihre eigene Medizin nicht aus Virginia mitgebracht hatte. Doch hatten ihre Symptome, wie sie sehr gut wusste, nichts mit der Natur zu tun. Sie kamen vom Stress, darunter litt sie schon seit frühester Kindheit. Aber schließlich hatte niemand je behauptet, dass es leicht war, Perfektionistin zu sein.
Und dann war da auch noch die Sache mit Esme Stuart.
Darcy presste mit den Fingern auf ihre geschwollenen Nebenhöhlen, schniefte und hustete. Esme Stuart hatte das Büro verlassen, lange bevor Darcy Parr die FBI-Akademie abgeschlossen hatte, doch ihr Ruf war in Quantico legendär. Sie war Tom Pipers Wunderkind gewesen, und jetzt kam sie zurück. Darcy war nicht etwa eifersüchtig. Es wäre albern, auf jemanden eifersüchtig zu sein, der in einer ganz anderen Liga spielte. Doch Darcy war der Neuzugang in der Task Force, die Jüngste, die Unerfahrenste, und wenn Esme Stuart vielleicht für immer zurückkam … Nun, man musste kein Hellseher sein, um vorauszusagen, wessen Platz im Team am unsichersten war.
Und nach den Geschehnissen im Krankenhaus grenzte es sowieso an ein Wunder, dass Darcy bis jetzt noch keine ausgewachsene Angstattacke bekommen hatte. Die Ironie war ja, dass sie durchaus in der Lage war, ihren Job gut zu machen. Sie war eine der Besten auf der Akademie gewesen. Und jetzt war sie hier in Amarillo und arbeitete als Mitglied der angesehensten Elitetruppe des ganzen FBIs an ihrem ersten Fall. Und vermutlich an ihrem letzten.
Sie steuerte auf die Hallmark-Grußkarten zu. Eine
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