Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich!
Stadtrand Straßensperren errichtet. Vielleicht saß er nicht in der Parkgarage fest, aber auf jeden Fall in Amarillo. Wohin also würde er gehen?
Und weshalb hatte er Darcy Parr umgebracht? Die beiden Männer, die vor dem Krankenzimmer postiert gewesen waren, hatten ihn schließlich gesehen mit seinem falschen Bart und seinem Handy. Wenn er befürchtete, erkannt zu werden, dann hätte er hinter den beiden her sein müssen. Ja, sein Zusammentreffen mit Darcy bei Walmart war wohl nur ein Zufall gewesen, aber war es für einen Kontrollfreak nicht ungewöhnlich, jemanden in einer solch unsicheren Umgebung umzubringen? Warum hatte er nicht gewartet, bis sie auf den Parkplatz ging?
Nein, er konnte nicht warten. Das hatte Esme selbst gesagt. Er war auf einem Kreuzzug. Und die Task Force stand ihm im Weg. Er hatte sich Lilly als Spionin ausgesucht, um von ihr alles zu erfahren und dann die FBI-Agenten aus dem Weg zu räumen. Allerdings war das gesamte Team gerade in der Innenstadt versammelt, verstärkt durch die Polizei von Amarillo. Es würde einem Selbstmord gleichkommen, hier etwas zu unternehmen.
Moment.
Nein.
Tom wurde kreidebleich. Nicht das ganze Team war hier. Es war noch jemand im Rathaus, unbewaffnet und ahnungslos.
Oh Gott!
Esme.
Nachdem sie zu dem Schluss gekommen war, dass Atlanta und Amarillo nur den Anfangsbuchstaben gemeinsam hatten, untersuchte Esme noch einmal die Schuhschachteln und sah sich dann wieder das Video an. Es war wirklich nicht schwer zu erkennen, dass der Typ ein echtes Problem mit Gott hatte. Sowohl Atlanta als auch Amarillo waren bibelfeste Städte. War das das Bindeglied? Wenn ja, warum zielte er dann auf Polizisten und Feuerwehrleute statt auf Geistliche?
Sie sah sich die Fotos von den Tatorten an. Einen Zusammenhang zwischen den Straßennamen oder der Architektur konnte sie nicht erkennen. Aber trotzdem war es noch viel zu früh, um eine Theorie auszuschließen, mochte sie noch so vage oder undurchschaubar sein.
Allerdings war es nie zu früh für David Bowie. Sie wählte das Album „Aladdin Sane“ und ließ ihre grauen Zellen auf Hochtouren laufen. Logisches Denken konnte man lernen, doch die Fähigkeit, um die Ecke zu denken, war eine Gabe. Da sie sich aber nun seit Jahren zwang, konventionell und normal zu sein, waren die Auswirkungen ja vielleicht dauerhaft.
Womöglich war sie nun gar nicht mehr in der Lage, anders zu denken? Vielleicht war ihre Gabe einfach für immer verschwunden wie ein unbeachteter Hund? Hatte Rafe recht? Gehörte sie nicht mehr hierher? Während der bombastische Sound von Bowies „Drive-In Saturday“ in ihren Ohren dröhnte, starrte sie auf sämtliche Beweise, die sie vor sich auf dem Konferenztisch ausgebreitet hatte, aber nichts passierte. Kein Aha-Effekt. Keine Glühbirne ging an. Keine indirekte Erkenntnis. Nichts.
Sie war nicht länger ein Sherlock Holmes. Sie war jetzt eine Amy Lieb.
Esme rieb sich die Augen. Stimmte das? Hatte ihr „Frauen von Stepford“ - Leben sie verblöden lassen? Unterschied sie nichts mehr von Amy Lieb? Einen Moment lang dachte sie über Amy nach, die mit solcher Begeisterung Kuchen für Wohltätigkeitsbasare backte, sich für die Oyster-Bay-Grundschule einsetzte, Wahlwerbung für Bob Kellerman machte und dabei sogar so weit ging, Schilder mitten auf dem Schulhof aufzustellen. Dumme Amy, so versessen darauf, Gutes zu tun, dass sie dafür sogar gegen Gesetze verstieß …
Esme runzelte die Stirn. Warum waren ihre Gedanken in diese Richtung gewandert?
Galileo, der unbekannte Täter, war gegen Religion (Kirche), erschoss aber ausschließlich öffentlich Bedienstete (Staat). Lag es daran, dass die Grenze zwischen Religion und Staat im Süden des Landes so verschwommen war? Aber warum war Galileo dann nicht hinter den Abgeordneten selbst her, die für so eine derart religiöse Regierung verantwortlich waren? Oder gleich hinter dem Präsidenten der Vereinigten Staaten? Nun, erstens stand der Präsident der Vereinigten Staaten kurz davor, seine acht Jahre zu beenden und ersetzt zu werden …
In Gedanken noch immer bei Amy Lieb tippte Esme ein paar Worte in die Google-Suche und begann zu lächeln. Was Atlanta und Amarillo gemeinsam hatten? In beiden Städten hatte Bob Kellerman vor Kurzem eine Rede gehalten. Ihr Lächeln wurde noch breiter, als sie den Namen einer der Organisationen las, die beide Auftritte gesponsert hatte: die „Unity for a Better Tomorrow“.
Laut ihrer eigenen Website handelte es sich dabei um
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