Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich!

Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich!

Titel: Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Corin
Vom Netzwerk:
…“
    „Ja?“
    Einige der wichtigen Menschen starrten sie nun abwartend an.
    „Ihr …“ Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie sich so geschämt. Nicht dafür, dass sie nicht in der Lage war, zu sprechen, sondern wegen der schrecklichen Worte, die sie ihm beinahe hingeworfen hätte. „Ich …“
    Einer der wichtigen Menschen flüsterte dem Gouverneur ins Ohr. Der nickte und streckte die Hand aus.
    „Ich befürchte, ich muss los“, sagte er. „Es war schön, Sie kennenzulernen, Miss Toro.“
    Sie schüttelte seine Hand, dann verließen er und seine Leute das Gebäude durch den Südausgang, während Lilly in der Sprout Hall blieb, zutiefst verunsichert. Er hatte sie Miss Toro genannt. Woher wusste er ihren Namen? Oh, der Presseausweis um ihren Hals. Richtig. Ja. Der Pressausweis. Sie wedelte sich mit einer Hand – der Hand, die er geschüttelt hatte – Luft zu.
    Aber halt! Wenn sie ihn vielleicht etwas Wichtiges fragte, etwas Kluges …
    Sie eilte durch den Ausgang. Der Gouverneur war schon in der Mitte des mit Seilen abgesperrten Weges und verteilte Autogramme. Wenn jemand ihm ein Geschenk überreichte, was ungefähr jeder Fünfte oder Sechste tat, dann dankte er freundlich und reichte es mechanisch einem seiner Mitarbeiter weiter, der eine große Tasche für diesen Zweck mit sich trug. Fotografen hielten den Kandidaten mit all seinem anwenderfreundlichen Charme auf Bildern fest. Einige waren vom „Chronicle“.
    Dann entdeckte sie Galileo. Er trug eine 49ers-Baseballkappe und verschmolz fast mit der Menschenmenge.
    Gouverneur Kellerman wollte ihm gerade die Hand schütteln.
    „Nein“, schrie sie, doch die Menge war viel lauter als sie, vor allem da sie schon wieder beinahe hyperventilierte. Panikattacken bekam man nicht einfach so in den Griff, und ihre stürzte sich nun mit neuer Wucht auf sie. Der Anblick des Mörders, des Mannes, den sie als „Ray Milton“ gekannt hatte, sorgte für noch schlimmere Übelkeit und Herzrasen als zuvor. Die Welt geriet vollkommen aus den Fugen. Sie würde nicht etwa ohnmächtig werden. Sie würde implodieren.
    Verschwommen sah sie, wie er in die Tasche seines roten Regenmantels nach einer Waffe griff. Nein – Moment. Keine Waffe. Ein kleiner weißer Umschlag. Er drückte den Umschlag in Kellermans ausgestreckte Hand … und Lilly konnte nicht länger still stehen. Kellerman würde nicht erschossen werden, heute nicht, Gott sei Dank, und deshalb rannte sie, rannte sie vor dem Lärm davon, der Menschenmenge, der Luft, sie rannte davon, stürmte durch die Tür auf die nächstbeste Toilette zu, schloss hinter sich ab, fiel auf die Knie und begann trocken zu würgen.
    Der Mörder war hier. Wieso? Er hatte nicht geschossen. Er hatte keine Waffe gezückt. Er hatte Kellermann einen gottverdammten Umschlag überreicht. Nein, das war doch gut. Hör auf, zu analysieren. Kontrolliere deine Atmung, sonst wirst du auf einer Toilette in Berkeley ohnmächtig. Wäre nicht das erste Mal, aber trotzdem. Denk an diesen ersten Kuss, an diesen ersten Kuss, an diesen ersten …
    Und wenn er sie gesehen hatte? Da oben auf der Treppe, vor der Tür? Sie hatte ihn gesehen. Somit war es nicht unwahrscheinlich, dass er sie ebenfalls gesehen hatte. Er konnte ihr sogar in diese abgeschiedene Toilette gefolgt sein …
    Nein! Da spricht die Panik aus dir. Er hatte sie nicht gesehen. Seine Aufmerksamkeit war ganz und gar auf Kellerman gerichtet gewesen. Alles war in Ordnung. Nun, nein, sie war nicht in Ordnung, sie war ganz und gar nicht in Ordnung, ihr Hirn hatte ihr Herz in Alarmbereitschaft versetzt, ihre Lungen, ihren Magen und ihre Glieder, doch das würde vorbeigehen. Irgendwann.
    Und so geschah es. Drei Stunden später. Zu diesem Zeitpunkt bekam sie vom Auf-dem-Boden-Knien schmerzhafte Krämpfe in den Beinen, ihr Kopf schwirrte vor zu viel Sauerstoff. Sie zog sich hoch und verließ die Kabine. Sproul Hall war wieder wie immer, voller Studenten, Fast Food und Gelächter. Lilly lief nach draußen in die Sonne, der Himmel war blau und friedlich. Es war nur schwer vorstellbar, dass der Tag mit Blitz und Donner begonnen hatte. So viel hatte sich verändert, seit sie aufgewacht war. Sie fragte sich, wo die Katze jetzt wohl war.
    Sie fragte sich, wen sie anrufen konnte.
    Ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass sie ihren Chef beim „Chronicle“ anrufen sollte. Sie hatte einen Serienmörder bei einer Wahlveranstaltung in Berkeley gesehen. Wenn das keine Nachricht war, was dann? Und es handelte sich um eine

Weitere Kostenlose Bücher