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Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich!

Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich!

Titel: Herr, erbarme dich! - Corin, J: Herr, erbarme dich! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Corin
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gerade, ein umfassendes Geständnis von dem Irren zu bekommen. Tom war dazu in der Lage, das wusste sie. Es war gut gewesen, ihn wiederzusehen, mit ihm zu arbeiten, wenn auch nur kurz. Es hatte sich richtig angefühlt und nicht so falsch wie jetzt.
    Aus der Küche kam ein Rülpsen, was bedeutete, dass Lester sein Sandwich aufgegessen hatte. Wie aufmerksam von ihm, nach jedem Essen seine Zufriedenheit kundzutun. Sophie jedenfalls fand es echt witzig.
    Sophie.
    Der Gedanke an ihre Tochter ließ sie schließlich doch aufstehen. Mit winzigen Schritten ging sie ins Badezimmer und überlegte, die Tabletten die Toilette hinunterzuspülen. Da sie das für zu dramatisch hielt, warf sie das Fläschchen einfach in den Abfall.
    „Falls du mich brauchst“, rief Lester. „Ich bin in meinem Zimmer.“
    Sie hörte, wie er den Flur hinunterstampfte, und wartete, bis sie die Tür des Gästezimmers zufallen hörte. Erst dann ging sie mit Babyschritten ins Wohnzimmer und dann langsam, sehr langsam in die Küche. Das war Teil des Heilungsprozesses, wie ihr Krankengymnast immer wieder beteuerte. Sie musste ihre Muskeln wieder aufbauen, und das dauerte eben seine Zeit. Vielleicht Wochen. Vielleicht Monate. Vielleicht länger.
    Die ersten fünf Minuten in der Küche verbrachte sie mit der Suche nach Erdbeer-Müsli-Riegeln. Lester hatte die Angewohnheit – neben vielen anderen –, den Inhalt des Speiseschranks umzuräumen. Sie fand die Schachtel schließlich hinter dem Glas Erdnussbutter, nahm zwei Riegel heraus, goss sich ein Glas Orangensaft ein und aß im Stehen. In einem Stuhl zu sitzen übte zu viel Druck auf ihren Rücken aus. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie das letzte Mal ohne quälende Schmerzen gesessen hatte. Das machte es ihr nahezu unmöglich, am Computer zu arbeiten. Der stand unbenutzt auf ihrem Schreibtisch und sammelte Berge von Staub an.
    Scheiße.
    Sie humpelte zum Computer und schaltete ihn an. Summend wurde er lebendig. In wenigen Minuten würde er sie in die Lage versetzen, dem Gefängnis ihrer Unbeweglichkeit zu entkommen und in die Luft zu schweben (oder zumindest zu surfen). Und sie würde wenigstens herausfinden, welche Vermutungen die Blogwelt über Galileo anstellte. Sie war versessen auf jeden Hinweis – egal wie unausgegoren er sein mochte. Das Window-Welcome-Fenster erschien, und sie beugte sich vor, um sich auf den Stuhl zu setzen – jede Nervenzelle entlang ihrer rechten Seite schien auf einmal zu explodieren. Ihr ganzer Körper wurde von Schmerz überflutet, ertrank darin. Sie verfehlte den Stuhl, landete auf dem Teppich und bog sich zurück, so weit es das Stützkorsett zuließ, den Mund zu einem stummen Schrei geöffnet. Sie konnte sich nicht bewegen, konnte ihren Körper in keine angenehmere Haltung schieben, konnte sich keine angenehmere Haltung vorstellen, konnte sich überhaupt nichts anderes vorstellen als den vollkommenen und versengenden Schmerz, der sie verschlang.
    Also blieb sie minutenlang auf dem Teppich liegen, verdreht, wie sie war. Dann spürte sie ihre Fingerspitzen auf dem Teppich und konzentrierte sich auf diese Empfindung. Ihre Beine begannen langsam auszuschlagen, als ob sie eine Treppe hinaufsteigen wollten. Sie rief sich in Erinnerung, dass sie atmen musste. Es war wie in den Wehen liegen, nur ohne ein Kind zu gebären, aber mit all den Schmerzen. Die Welt wurde wieder scharf. Der Computerschirm wurde scharf. All die kleinen Symbole wurden wieder scharf. Sie waren so nah und zugleich so fern.
    Sie biss sich auf die Unterlippe und zog sich am Stuhl wieder hoch, was ihre Nervenbahnen nur noch mehr auf die Palme brachte, wenn das überhaupt möglich war. Sie sammelte jedes Gramm positiver Energie zusammen, die sich noch irgendwo in ihrem Körper fanden, um den riesigen Ozean ihres Wohnzimmers bis zum Badezimmer zu überqueren. Mit höchster Konzentration gelang es ihr, die Knie zu beugen, in den Abfalleimer zu greifen und das Fläschchen mit den Pillen herauszuholen. Das Wasserglas stand noch auf dem Couchtisch, meilenweit entfernt. Doch sie brauchte es nicht. Sie schüttete vier Pillen in ihre Handfläche und schluckte sie einfach so. Dann stellte sie das Fläschchen neben das Waschbecken, schloss die Tür, um ungestört zu sein, und legte sich auf den Boden. Oh, die wütenden Nervenenden entspannten sich bei der Berührung der kalten Fliesen, und dann begann das Percocet zu wirken, und sie schliefen einfach ein. Genauso wie sie.
    Nicht zum ersten Mal hatte Esme

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