Herr Klee und Herr Feld | Roman
blätterte während seiner Wartezeit gern in »Keep Rocking« oder »Variety«, wo es Neuigkeiten aus der Welt des Films, der Musik und des Glamour zu erfahren gab. Nach ein paar Minuten schlurften die ersten verschlafenen Frauen in rosa Bommelschlappen in die Halle und holten sich ihre Pizzas ab. Alfred verstand, warum hier auf Sitte und Ordnung geachtet wurde, denn es war in Wahrheit so, dass nicht nur die jungen Frauen vor Eindringlingen beschützt werden mussten. Viele der Soldatinnen waren ungemein sexy in ihren Negligés, Shortys, Baby Dolls und exotischen Nachtgewändern. Und einige lächelten oder blinzelten Alfred durchaus aufmunternd, um nicht zu sagen eindeutig zweideutig zu. Auch hier wurde mit dem Trinkgeld nicht geknausert.
Wenn Alfred nach einem späten Feierabend mit seinem Rennrad nach Hause fuhr, hatte er oft noch Pizzas dabei, »Remittenden«, wie er sie nannte. Rückläufer, die entweder Reklamationen waren oder an Adressen geliefert werden sollten, wo niemand die Tür öffnete. Immer machten sich irgendwelche Kinder einen Spaß und bestellten für ein Haus gegenüber Pizzas. Dann lagen sie auf der Lauer und beobachteten, was sich anbahnte und nicht selten im Streit endete. Deshalb konnte es passieren, dass Alfred um zwei Uhr nachts noch mit der Mutter und Moritz in der Küche saß und sie kalte, gummiartige, leckere Pizzas aßen.
Obwohl Alfred fleißig für Rom sparte, ging er an den Wochenenden gern hinaus ins Leben. Es gab die »Hütten-Bar« im Steinweg, in einer Passage dem Metro-Kino gegenüber. Zur blauen Stunde traf sich hier die lebensgierige Jugend. Der Eintritt war ab achtzehn und der Eigentümer, Herr Tanner, saß persönlich am Eingang, von wo eine Treppe nach unten führte, und vergab die Tickets, deren Preis ein Getränk beinhaltete. Tanner, ein notorischer Lebemann, erkannte sofort, ob die Mädchen sich älter machten. Viele behaupteten, sie hätten kein Geld, aber wenn sie attraktiv waren, drückte er ein Auge zu und einen Stempel auf die Hand, denn ein gutes Geschäft brauchte eine gute Auslage. Der Keller war an den Wochenenden rappelvoll. Das Zentrum bildete ein quadratischer Bartresen, hinter dem manchmal ein Dutzend Leute arbeiteten. Flaschen wurden geöffnet, Gläser mit farbigsten Getränken gefüllt, Eiswürfel klapperten, Zitronenscheiben wurden aufgesteckt und Strohhalme gereicht. Es gab mehrere ineinander übergehende Räume, die man durch rot beleuchtete verschlungene Gänge und Treppenstufen erreichen konnte. Rot war die beherrschende Farbe. Es gab rot bespannte Stoffwände, roten Sisalboden, rote Lämpchen, rote Vorhänge, rote Plüschsessel. Überall Nischen und kleine Tische, an denen junge Menschen saßen, rauchten und Gin Tonic, Cuba Libre, Ginger Ale, Bourbon 7 UP , Campari Orange, Bols Grün, Cointreau Cacao oder Piccolo tranken. Die Musik war aktuell, Rock’n’Roll wurde in regelmäßigen Intervallen von Schmusetiteln abgelöst. Man küsste sich, man wetzte sich aneinander, man schwitzte vor Hitze und erotischer Aufladung und Alfred lernte in dieser Zeit eine Menge Mädchen kennen.
Darunter war eine achtzehnjährige Schönheit, die sich Inga nannte, weil ihr der Name Ingelore hinderlich schien. Man hätte sie leicht mit Veruschka von Lehndorff verwechseln können und auch Inga wollte Mannequin werden. Sie kam aus bürgerlichem Haus, der Vater war Abteilungsleiter bei Messer Griesheim. Und deshalb sollte die Tochter ebenfalls Abteilungsleiterin bei Messer Griesheim werden oder wenigstens einen Abteilungsleiter von Messer Griesheim ehelichen. Inga hatte sich heimlich bei einer Mannequinschule in der Zeppelinallee in Sachsenhausen angemeldet, die von einer ehemaligen »Miss Rhein-Main« geleitet wurde. Hier bekamen die jungen Frauen vermittelt, sich auf Pumps auf dem Laufsteg hin- und herzubewegen, zu lächeln und einen Pelzmantel hinter sich herzuziehen. Sie erlernten die Geheimnisse des Schminkens und mussten sich aufwendig frisieren können. Nach einem Jahr waren sie fit, die Laufstege von Paris zu erobern.
Aber dafür benötigten die jungen Damen Geld. Denn ein Vorstellungsgespräch bei Dior, Chanel oder bei der angesagten Modelagentur Eileen Ford gab es nicht ohne ein sogenanntes Composé, einen Prospekt der Kandidatin. Und die Fotos darin mussten von einem der großen Modefotografen wie Avadon, Penn, Newton oder Sieff gemacht sein. Und als Inga und Alfred wieder einmal ausgepumpt nebeneinander im Bett lagen, fragte ihn das Mädchen, ob er ihr wohl
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