Herr Klee und Herr Feld | Roman
war es klar, dass Alfred immer die besten Touren bekam. Bis nach Wiesbaden wurde er geschickt, wo die Jungs von der Air Force wohnten und wo die Trinkgelder besonders hoch waren. Hier kam es vor, dass Eltern mit ihren Kids am Abendbrottisch saßen, jeder einen leeren Teller vor sich, das Besteck in der Hand, und Alfred servieren musste. Er nahm die bestellten Speisen aus der Tonne. Dann reichte er gekonnt Spaghetti, Pizza, oft auch mit Salat. Die Amerikaner ließen sich nicht lumpen. Sie waren begeistert, dass Alfred einer von ihnen war, und überschütteten ihn mit Trinkgeldern. Ein Dollar war das Mindeste und fünf keine Seltenheit. Zu dieser Zeit war der Wert eines Dollars 4 , 20 DM .
Alfred konnte sein schauspielerisches Talent ausleben, durfte Autofahren, verdiente gutes Geld. Sein Käfer hatte ein Autoradio und so brummte er nachts durch die leeren Straßen und hörte im AFN die aktuellen Hits wie »Lonely Boy« von Paul Anka, »Smoke Gets in Your Eyes« von den Platters oder »What’d I Say« von Ray Charles.
Manchmal kam es vor, dass er Pizzas beim AFN abliefern musste. Dann fuhr er zum IG -Farben-Building, stoppte an der Schranke, sprach ein paar Worte mit dem MP -Mann und hielt vor dem Portal. Mit dem Paternoster fuhr er in den sechsten Stock, ging mit seiner Pizzatonne durch einsame, spärlich beleuchtete Flure, bis er zum Tonstudio kam, wo er von den Moderatoren und den Technikern mit Hallo begrüßt wurde und seine Pizzas verteilte.
Eines Nachts, so erinnerte er sich, wurde plötzlich »Take Five« von Brubeck ausgeblendet und er hörte im Auto auf dem Weg zum Sender den Moderator »Mike, the mike« sagen: Somewhere out there is the guy we are longing for: Freddy, the pizza man! Where are you? Alfred hätte heulen können vor Stolz. Das war es, was er wollte: dass man von ihm sprach.
Eine besondere Herausforderung waren Fahrten zu den großen Kasernen, wie den »Gibbs Baracks«. Kamen die Sammelbestellungen von den Gibbs rein, war es oft schon spät, meistens nach zehn. Dann wurden zwei Tonnen mit Pizzas gefüllt und Alfred raste los. Es war nicht weit. Den Marbachweg runter Richtung Eckenheim, dann links in die Einfahrt.
Hier kannte man ihn schon. Ein Soldat kam aus seinem Wachhäuschen und hob mit der Hand kurz die Schranke an. Dabei tippte er sich an den Helm.
In House B wurde er vom wachhabenden Staff Sergeant nicht gerade herzlich empfangen. Alfred lief mit seinen beiden Tonnen hinter dem Soldaten her, dessen lauter Stiefelschritt durch die nächtlichen Flure schallte. Sie kamen an eine Tür, die er mit Schwung öffnete. Ein Klick, dann begannen unzählige Neonlichter zu knacken, zu flackern und zu brummen. Währenddessen schrie der Sergeant in den Schlafsaal:
Pizza man is here!
Etwa einhundert schlaftrunkene Männer fielen fast aus ihren Betten! Alfred öffnete seine Tonne und rief:
A big double mushroom, salami! Three bucks!
Ein Soldat im grünen T-Shirt schlurfte auf ihn zu und holte sich seine Pizza ab. Er steckte Alfred fünf Dollar zu.
Here you are.
So ging es weiter.
Double cheese!
Hot chilli!
Plain Margherita!
Four seasons!
Napoli without anchovies!
Immer und immerfort, während die Kameraden, die keine Pizza bestellt hatten, sich lautstark beschwerten und herumpöbelten. Manchmal kam auch ein Stiefel geflogen.
Nach zehn Minuten war der Überfall vorbei und Alfred saß im VW und machte Kasse. Es hatte sich gelohnt. Fast zwanzig Dollar tip.
Ein Ereignis anderer Art war es, wenn Alfred zur Friedberger Warte musste. Auf dem Gelände des Militärhospitals befand sich eine Kaserne ausschließlich für weibliche Armeeangehörige. Hier kam Alfred zwar durch das Tor, im Erdgeschoss der Kaserne war jedoch Schluss.
Der Zerberus war eine stramme, Kaugummi kauende Unteroffizierin, die ihn unmissverständlich aufforderte, in der Lobby zu warten. Dann lief sie mit wippendem Hinterteil los. Die große Uhr zeigte Viertel nach zehn.
In der Eingangshalle standen Dinge, die Deutsche in Erstaunen versetzt hätten: ein Wasserspender neben der Tür, links eine große Eiswürfelmaschine. Daneben ein Getränkeautomat mit Pappbechern. Ein Gottlieb-Flipper, speziell für Damen, namens »Cheer Leader«.
Auf der anderen Seite eine Musikbox. Gegenüber eine Pinnwand mit Tagesplänen und Dienstanweisungen. In einer Ecke Stahlrohrsessel mit grünen Plastikbezügen. Sie standen um einen flachen Tisch, der voll mit Zeitungen und Illustrierten war, auch mit Comics, darunter »Mad«.
Alfred
Weitere Kostenlose Bücher