Herr Klee und Herr Feld | Roman
gekältet von eben dem Winter und Sommer? Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht? Und wenn ihr uns beleidigt, sollen wir uns nicht rächen?
Honig?, hörte er Zamira fragen.
Fein, sagte Alfred und setzte sich an den niedrigen Tisch.
Wieso besuchen Sie mich?, fragte sie.
Sie haben sonntags frei und ich habe gedacht, was macht sie so allein an diesem Tag? Vielleicht langweilt Sie sich und hat Lust auf ein Schwätzchen mit einem Dinosaurier.
Gern, aber ich langweile mich nie. Sonntags schlafe ich lang, dann schreibe ich E-Mails oder telefonier ich. Manchmal fahre ich zu meinen Freunden nach Bornheim. Nebenan ist ein libanesisches Restaurant. Abends Kino. Oder Disco, nur tanzen.
Er lächelte. Er konnte es sich gut vorstellen, wie sie sich bewegte.
Sie müssen die Israelis hassen, sagte Alfred plötzlich.
Ja, begann sie, als Mädchen ich war radikal, habe sogar Steine gegen Soldaten geworfen, die waren ja nur da, um ein paar Siedler zu schützen …
Doch Zamiras wohlhabende Tante Hind holte das Kind von der Straße, sie hatte bereits früh die musikalische Begabung ihrer Nichte erkannt und schickte sie von nun an regelmäßig zum Geigenunterricht. Als Zamira vierzehn Jahre alt war, bewarb sie sich beim West-Eastern Divan Orchestra, das von Daniel Barenboim und Edward Said gegründet worden war. Hier musizierten arabische und israelische Jugendliche gemeinsam. Zamira wurde aufgenommen. Die Zusammenarbeit, das gemeinsame Musizieren, die Gespräche mit Barenboim und Mitgliedern des Orchesters, auch den jüdischen, trugen dazu bei, dass ihr Hass auf die Israelis abkühlte. Sie würde sie zwar niemals lieben, aber versuchen, sie kennenzulernen. Nach einem Jahr intensiver Proben konnte sie zum ersten Mal nach Europa fliegen. Nach der Tournee blieb sie bei einem Onkel in Beirut, in dessen Restaurant sie aushalf. Sie besuchte die deutsche Schule, an der sie auch musikalisch weiter gefördert wurde.
Wie sind Sie nach Deutschland gekommen?, wollte Alfred wissen.
Mit zwanzig wollte mich meine Familie verheiraten, mit einem Cousin! Da habe ich mich beworben bei den Berliner Philharmonikern. Ich wurde zwar nicht genommen, nutzte aber Berlin, um zu bleiben. Ich lernte Mark Faller kennen, ein Radiojournalist. Amour fou. War ich sieben Wochen später verheiratet!
Das erste Jahr verlief harmonisch. Mark arbeitete beim Sender und bald verstand sie seine geheimen Botschaften, wenn er ihr über das Radio Grüße schickte. Sie besuchte am Vormittag Deutschkurse, am Nachmittag gab sie Geigenunterricht.
Aufgrund ihrer immer besseren Sprachkenntnisse kam auch die Erkenntnis, dass es sich bei ihrem Ehemann um einen begrenzten Typen handelte, der schlecht damit umgehen konnte, dass sich seine arabische Frau emanzipierte, mehr noch, ihm das Gefühl gab, intelligenter zu sein als er. Immer öfter widersprach sie ihm bei politischen Diskussionen im Freundeskreis und sie stellte fest, dass er rechtsradikales Gedankengut verbreitete, auch in seiner Sendung. Auf subtile Weise zwar, aber seine Adressaten verstanden ihn gut. Er konnte es nicht verstehen, dass sie als »geschundene« Palästinenserin Israel nicht zerstören wollte. Ein bisschen mehr Hass hätte er sich schon gewünscht. Er war im Grunde enttäuscht, keine Terroristin geheiratet zu haben, mit der er sich selbst hätte aufwerten können.
Zamira wurde klar, dass Mark Faller verbohrt und ihren Argumenten gegenüber ablehnend war. Immer öfter kam es zu lautstarken Auseinandersetzungen, bei denen sie immer besser mithalten konnte. So blieb ihm letztlich nur noch ein Mittel: Gewalt. Es begann der klassische Kreislauf. Er schlug sie, sie wehrte sich, er schlug sie heftiger, er entschuldigte sich, er weinte, er schwor Besserung, bis zum nächsten Mal. Sie verließ ihn, er drohte mit Selbstmord, sie kehrte zurück. So vergingen entsetzliche Jahre.
Zamira hatte inzwischen Anschluss an ein Kammerorchester gefunden, mit dem sie kleinere Tourneen unternahm. Immer gab es irgendwo festliche Anlässe, bei denen klassische Musik angesagt war. Kirchliche Feste, Preisverleihungen, Woche der Brüderlichkeit und anderes.
Mit Olga Weismanowa, einer russischen Cellistin, verstand sie sich besonders gut, die Frauen nahmen stets gemeinsam ein Hotelzimmer. Dann kam die Nacht, die alles veränderte.
Nach einem Konzert in Quedlinburg erschien plötzlich Mark Faller mit seinem Kumpel Alex in der Lobby des Hotels, um
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