Herr Klee und Herr Feld | Roman
Teller mit einem panierten Schnitzel vor die Nase, dazu gab es Kartoffelsalat.
Moritz war überrascht.
Schnitzel? Ich dachte, es gibt Huhn, wie immer am Schabbes.
Ach, das ist doch langweilig, Herr Feld.
Alfred war begeistert.
Wiener Schnitzel! Wunderbar, Zamira! Zeigen Sie es diesem konservativen Sack!
Damit begann er zu essen.
Moritz kratzte indessen akribisch die Panade vom Schnitzel und ignorierte auch den Kartoffelsalat. Er beobachtete seinen Bruder beim Kauen mit großem Interesse und sagte nach einer Weile:
Dass du das verträgst mit deinem Magen. Unberufen!
Alfred hielt inne, wie vom Blitz getroffen.
Sein Mund war noch voll, als er rief:
Wer sagt, dass ich das vertrage? Zamira!
Er begann ebenfalls, die Panade abzukratzen, als Zamira kam.
Schnitzel mit Kartoffelsalat! Zu fett! Und am Abend! Das ist viel zu schwer. Das ist Mord! Ich brauche meine Magentabletten.
Er sprang auf und lief in sein Zimmer.
Zamira war bedrückt.
Tut leid mir. Ich wusste nicht, dass der Herr Klee hat einen kranken Magen.
Das wusste er selber nicht, sagte Moritz und aß weiter. Dann sagte er:
Es schmeckt großartig. Das können Sie öfter machen. Nur nicht paniert. Und ohne Kartoffelsalat. Und nicht am Abend.
Alfred kam wieder zurück. Er hatte eine Pille dabei und nahm sie ein, indem er sich ein Glas mit Wasser griff.
Als Zamira das Zimmer verlassen wollte, sagte er plötzlich:
Zamira!
Sie blieb stehen.
Ja?
Warum sind Sie bei uns? Ich frage mich das immer wieder.
Moritz wollte etwas sagen, aber Alfred sprach weiter:
Warum gehen Sie nicht in ein Orchester oder geben Geigenunterricht?
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
Verstehe ich nicht, Herr Klee. Was wollen Sie wissen?
Ich will wissen, was eine junge Palästinenserin bei zwei alten Juden verloren hat? Was ist so unwiderstehlich an diesem Job?
Ist mir egal, ob Sie sind Juden oder Christen. Ich fühle mich gut hier. Sie sind nett. Gefällt mir das. Ich mache gern Hausarbeit. Kochen und das alles. Ich wollte weg aus Berlin und habe ein neues Leben gesucht.
Neues Leben? Das nennen Sie neues Leben?, fragte Alfred. Warum haben Sie sich nicht einen richtigen Job gesucht, der zu einer jungen, hübschen Frau passt?
Ich habe keinen Job gesucht, ich habe ein Zuhause gesucht, sagte sie leise.
Die Männer schauten betroffen.
Am folgenden Sonntag war Alfred angenehm überrascht, wie gemütlich es sich Zamira in der kleinen Wohnung unterm Dach gemacht hatte. Mit Postern, Familienfotos, Kissen und orientalischem Schnickschnack hatte sie eine anheimelnde Atmosphäre geschaffen.
Möchten Sie Tee?, fragte sie.
Gern, antwortete Alfred, während er sich die Fotos an der Wand besah.
Ganze Familie, sagte sie und zeigte auf ein Foto, auf dem etwa dreißig Personen zu sehen waren, Mutter, Vater, Bruder, Schwester, Cousins und Cousinen, Tanten und Onkel. Hier ich …
Nein, rief Alfred, nichts sagen, ich finde Sie.
Er kniff die Augen zusammen, besah sich das Foto und zeigte dann auf ein kleines Mädchen.
Das sind Sie!
Stimmt.
Während sie weitersprach, dachte Alfred, dass er sich niemals Gedanken über eine Familie im Westjordanland gemacht hatte. Jetzt aber, da er bewusst in die Gesichter sah und sie Namen wie Leila, Aziza und Kamal erhielten, ja gleichsam zum Leben erweckt wurden, überkam ihn ein schlechtes Gewissen. Was hatten sie durchgemacht? Niemand kann doch dafür, wann und wo er hineingeboren wurde. Und wie man ihn erzog. Als Moslem oder als Jude.
Er war Jude und bei allem, was im Nahen Osten passierte, war er darauf dressiert, sofort zu denken: Ist das gut oder schlecht für Israel? Sollte er dieser freundlichen Frau neben ihm gestehen, dass ihm das Schicksal ihres Volkes gleichgültig war? Nicht dass er die Palästinenser verabscheute oder alle für Terroristen hielt, aber die Israelis waren ihm nah, sie waren mit seinem eigenen Schicksal verbunden. Aber hatte er nicht auch in Israel eine Menge Vollidioten getroffen, kulturlose Banausen, Machos und primitive Goldkettchenträger? Hatte er sich nicht oft fremdgeschämt? Was war so besonders an den Sabres? Ist Jude sein eine Auszeichnung? Gehörte man automatisch einem erlesenen Klub an? Shylock kam ihm in den Sinn. Was für die Juden gedacht war, galt doch für alle:
Haben wir nicht Augen? Hände, Gliedmaßen, Werkzeuge, Sinne, Neigungen, Leidenschaften? Mit derselben Speise genährt, mit denselben Waffen verletzt, denselben Krankheiten unterworfen, mit denselben Mitteln geheilt, gewärmt und
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