Herr Klee und Herr Feld | Roman
wo sie einen netten Abend verlebten. Alfred gab vor, hier um die Ecke in einem Hotel zu übernachten. In Wahrheit verbrachte er die frühen Morgenstunden im Milano Centrale, wo er gegen acht den ersten Zug in Richtung Deutschland nahm. Während draußen die Telegrafenmasten vorbeirasten, nahm er sich vor, reich und berühmt zu werden, sodass sich Carla nach ihm verzehren würde.
Nachdem er seine Abschlussprüfung hinter sich hatte, wusste Alfred nicht so richtig, wie es mit ihm weitergehen sollte. Es gab seriöse Angebote von Bühnen in der Provinz, aber er konnte sich nur schwer ein Leben in Karlsruhe oder Braunschweig vorstellen. Außerdem galt seine Sehnsucht dem Film. Es musste ja nicht der deutsche sein. Die Filme der frühen sechziger Jahre waren nicht dazu angetan, einen jungen Mann, der sich nach Hollywood orientierte, zu begeistern. Edgar Wallace, Karl May oder Heimatschmonzetten waren nicht nach seinem Geschmack.
Durch einen Zufall lernte Alfred den Schauspieler Klaus Kinski kennen, der mit Liedern von François Villon tourte. Alfred war begeistert, denn er erkannte sich und seine Gefühle in diesen frivolen Gesängen wieder:
Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund, ich schrie mir schon die Lungen wund, nach deinem weißen Leib, du Weib! Im Klee, da hat der Mai ein Bett gemacht, da blüht ein schöner Zeitvertreib mit deinem Leib, die lange Nacht. Das will ich sein, im tiefen Tal, dein Nachtgebet und auch dein Sterngemahl.
Nachts in der Kantine gab ihm Kinski den Tipp, nach Rom zu gehen. In Cinecittà würden serienweise Western gedreht und ein Junge mit Alfreds Aussehen, seinem amerikanischen Slang und seinem Talent hätte da fraglos Chancen. Allerdings sei Rom teuer und Kinski riet ihm, hier noch Geld zu verdienen, um gegebenenfalls ein halbes Jahr in Italien zu überbrücken, die Konkurrenz sei groß. Junge US -Schauspieler oder Franzosen antichambrierten unentwegt in den Studios und hofften, von Corbucci oder Leone entdeckt zu werden.
In der Eschersheimer Landstraße besaß ein Herr Blackwood eine Pizzeria, die »Bologna« hieß. Die italienische Küche war bei der einheimischen Bevölkerung noch unpopulär und so setzte Blackwood auf die Amerikaner, die bereits auf eine lange Pizzaerfahrung zurückblicken konnten. Der Wirt war vor dem Krieg nach Providence in Rhode Island emigriert. Im Gefolge der US -Army kam Blackwood zurück nach Frankfurt, wo er in den Nachkriegsjahren als Teilacher ausreichend Geld verdiente, um schließlich das »Bologna« eröffnen zu können.
Auf »gepflegte Gastlichkeit in südlicher Atmosphäre«, wie es in der mandolinenseligen Kinowerbung hieß, legte Blackwood in Wahrheit wenig Wert. An den Wänden hingen ein paar minderwertige Aquarelle mit den klassischen italienischen Urlaubsmotiven Rialtobrücke, Kolosseum und Pisa-Turm und selbstverständlich gab es die unvermeidlichen rot-weiß karierten Tischdecken, auf denen zu Kerzenleuchtern mutierte Chiantiflaschen standen. Für die zwölf Tische war Barry zuständig, ein freundlicher schwarzer Kellner, für deutsche Gäste eine Attraktion. So nah kam man seinerzeit einem »Neger« selten.
Das wichtigste Requisit im Lokal war das Telefon. Denn das »Bologna« war der erste Laden, der Home Delivery machte! Und es war kein Zufall, dass diese Geschäftsidee in Frankfurt umgesetzt wurde, denn hier im Rhein-Main-Gebiet waren Zehntausende von US -Army-Angehörigen zum Teil mit ihren Familien stationiert. Das hatte zur Folge, dass das Telefon vierzehn Stunden nicht stillstand und Blackwood es oft vorübergehend aushängen musste, weil er mit den Aufträgen nicht mehr nachkam und Hunderte von Kassenbons auf Spieße stecken musste.
Onkel David kannte Harry Blackwood noch aus der Zeit, als er Herschel Schwarzwälder hieß. Mitte der fünfziger Jahre wurden David, Baby, Alfred und Moritz Stammgäste im »Bologna«.
Obwohl Alfreds Mutter einerseits stolz war, ihren Sohn in Schillers »Räuber« auf der Bühne des Schauspielhauses bewundern zu dürfen, nahm sie ihm andererseits übel, dass er nicht studieren wollte, um es seinem Bruder gleichzutun. Moritz hatte mit knapp vierundzwanzig bereits einen Doktortitel erworben und den Grundstein zu einer erfolgreichen akademischen Karriere gelegt. Deshalb war es nicht überraschend, dass Baby sich weigerte, sich an den zu erwartenden Lebenshaltungskosten in Rom zu beteiligen, abgesehen davon, dass sie diese Idee für meschugge hielt. Onkel David hatte dagegen Verständnis
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