Herr Klee und Herr Feld | Roman
sagte sie und zückte ein Taschentuch.
Heredis fletus sub persona risus est, sagte er plötzlich.
Was soll das heißen?, fragte sie.
Das Weinen des Erben ist ein maskiertes Lachen.
Sehr komisch, meinte sie. Dann schwieg sie, bis sie am Flughafen ankamen. Wenigstens etwas.
Das Taxi hatte das Flughafengelände und die breite Avenue vor der Strandpromenade verlassen, war links abgebogen und mühte sich nun durch die engen Straßen von Nizza. Der Chauffeur hatte sein Fenster geöffnet und ließ seinen linken Arm heraushängen.
Alfred kannte diese Marotte aus Rom. Das waren die schlimmsten Fahrer. Selbst fuhren sie provokant langsam, regten sich aber darüber auf, wenn ihnen einer im Weg war. Es wurde gehupt und geschimpft.
Während der Stop-and-go-Fahrt, in Frankreich liebevoll »l’accordéon« genannt, erkannte der Taxifahrer in der Nähe des Blumenmarktes einen Bekannten, rief »Salut Dedé!« und hielt einfach an, um ein paar Worte mit Dedé zu wechseln. Dass er einen Fahrgast im Wagen hatte, störte ihn nicht. Dieser schreckliche Mensch ist am Leben, dachte Alfred, und meine Mutter musste sterben.
Beim Umsteigen in Los Angeles war Moritz in einen Kollegen von der UCLA gerannt, der ebenfalls nach Paris flog. Glücklicherweise saßen sie in der 747 weit voneinander entfernt, denn Moritz hätte es in seinem Zustand nur schwer ertragen, stundenlang Konversation zu treiben. Aber am Gate sprachen sie doch eine Weile miteinander und nachdem Moritz seinem Kollegen den Grund seiner Reise offenbart hatte, musste er sich anhören, wie und wo und warum dessen Mutter vor ein paar Jahren verstorben war.
Man macht sich immer Vorwürfe, sagte Rickman, man hätte sich mehr kümmern müssen, sie öfter anrufen. Machen wir uns nichts vor, sie sind immer enttäuscht.
Moritz nickte, dann sagte er:
Meine Freundin Rachel schrieb einmal: »An den Gräbern der Eltern weinen die Kinder um die in sie gesetzten Hoffnungen.«
Das ist ein guter Satz, meinte der Kollege, muss ich mir merken.
Einige Minuten später war die Maschine zum Einsteigen bereit.
Moritz hatte um einen Platz am Gang gebeten, so konnte er immer mal wieder aufstehen und ein paar Schritte machen. Neben ihm saßen zwei junge Frauen, vermutlich Studentinnen. Moritz hätte gern gewusst, was sie über ihn dachten. Wenn sie ihn überhaupt zur Kenntnis nahmen.
Zwei seiner Kollegen in Berkeley hatten jüngere Geliebte und bei einem von ihnen konnte er nicht verstehen, warum. Er war klein, dick, über sechzig. Aber er war Hegelianer, vielleicht lag es daran. Außerdem hatte Moritz die ominöse Geliebte noch nicht gesehen. Vielleicht war sie hässlich oder existierte überhaupt nicht! Vielleicht machte sich der Kollege nur interessant. Eine gute Idee, dachte er.
Manchmal machten ihm Studentinnen, aus welchen Gründen auch immer, schöne Augen. Aber seit den militanten, feministischen Regeln an den Universitäten achtete Moritz tunlichst darauf, die Vorgaben zu erfüllen. Wenn eine seiner Studentinnen mal hinter sich die Tür schloss, wenn sie sein Büro betrat, erhob er sich sofort und öffnete sie demonstrativ wieder. Es war schon vorgekommen, dass Studentinnen als agents provocateurs unterwegs waren, angestachelt von feministischen Hardlinerinnen oder missgünstigen Kollegen.
Er war in seinen Gedanken abgeschweift und wurde umso heftiger von der Realität eingeholt, als ihm einfiel: Seine Mutter war tot! Und er war auf dem Weg nach Südfrankreich, um sie zu begraben.
Alfred hatte sich von einem Beamten am Empfang bei Capitaine Maurizot anmelden lassen und man hatte ihm mitgeteilt, er möge einen Moment warten. Einen Moment! Jetzt saß er schon fast eine halbe Stunde auf diesem harten Stuhl, in diesem kargen Flur, gegenüber einer Yuccapalme in einem viereckigen Topf mit braunen Kügelchen. Er kannte inzwischen jedes der idiotischen Plakate an den Wänden auswendig. Es wurde vor Taschendieben gewarnt, vor Waldbränden und vor der Tollwut. Die Polizeigewerkschaft rief zu einer Kundgebung auf. Das war zwei Wochen her. Neben ihm gab es ein Kommen und Gehen. Nur Maurizot ließ sich nicht blicken. Ein pietätvollerer Umgang mit einem Trauernden wäre angemessen gewesen.
Endlich dann. Ein junger dynamischer Mann in Uniform kam flott den Flur entlanggelaufen. Groß, aufrecht, selbstbewusst. So würde ich ihn auch spielen, wenn ich ihn spielen sollte, dachte Alfred.
Monsieur Kleefeld, bonjour. Excusez-moi, je me mis en retard, sagte Maurizot mit seinem
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