Herr Klee und Herr Feld | Roman
Flugzeugfenster und blickte hinab in die Tiefe. Es war ein klarer Sommertag und er sah die Küstenlinie der Riviera deutlich. Sogar kleine Segelschiffe auf dem blauen Meer konnte er ausmachen. Merkwürdig, kam es ihm in den Sinn, da unten geht das Leben weiter, als sei nichts passiert, dabei hatte eine der außergewöhnlichsten Frauen diese Welt für immer verlassen. Er dachte voller Traurigkeit an glückliche Momente, die für Baby im Lauf der Jahre immer spärlicher geworden waren.
Was hatte sie am Ende von ihrem Leben? Er meldete sich selten bei seiner Mutter, ebenso sein Bruder. David war seit zwanzig Jahren tot, die meisten ihrer Verwandten waren ebenfalls gestorben.
Sie hatte sich als Wohnort Nizza ausgesucht, weil ihre engsten Freunde, die Schimmels, in der Nähe wohnten und weil ihr das Klima guttat. Außerdem hatte sie damit gerechnet, dass David mit ihr an die Côte ziehen würde, aber er hatte sich geweigert. Er wollte nicht finanziell von ihr abhängig sein, so ließ er sie wissen, aber in Wahrheit spürte er, dass er bald ein Pflegefall sein würde. Man hatte ein Jahr zuvor die Parkinson’sche Krankheit bei ihm diagnostiziert und selbst eine rasche Operation in der Mayo-Klinik, an der Baby sich finanziell beteiligte, hatte nur vorübergehende Linderung gebracht. Er wollte sich ihr nicht zumuten. Sie wusste, dass dies der Grund für seine Absage war, aber er hatte niemals mit ihr darüber sprechen wollen. Davids Innerstes, das war eine uneinnehmbare Festung.
Kurz nachdem seine Mom die hübsche Wohnung unweit des Bahnhofs erworben hatte, starb Frau Schimmel, zwei Jahre später ihr Mann. Baby war plötzlich einsam geworden. Moritz arbeitete in Kalifornien, wo sie ihn einmal besucht hatte. Aber sie vertrug sich nicht mit ihrer Schwiegertochter, der sie unterstellte, ihren Sohn gegen sie zu beeinflussen. Auch nach Rom war sie einmal gekommen, um Alfred zu besuchen. Sie hatten eine gute Zeit. Er zeigte ihr die Stadt und stellte ihr einige seiner Freunde vor. Doch beide spürten, dass da dieser Riss war und dass er wohl niemals mehr zu kitten wäre. Die unterschlagene Wahrheit über David Bermann hatte ihn zutiefst verletzt.
Auf der Fahrt zum Flughafen fing Fanny erneut mit diesem Thema an, als hätte er jetzt nichts anderes im Kopf, als sich mit ihr über Alfred zu streiten. War es nicht schon schlimm genug, dass seine Mutter tot war und er einen Fünfundzwanzig-Stunden-Trip vor sich hatte? Er solle sich nicht kleinmachen, beschwor sie ihn, und um seine Rechte kämpfen. Es gäbe bestimmt Stücke in Babys Wohnung, die viel eher ihm zustünden als seinem Bruder, der ja nur sein Halbbruder war. Er solle auf keinen Fall zu allem Ja und Amen sagen. Besonders was den Nachlass des Vater anginge, da hätte Alfred wohl keinen Anspruch. Als Moritz ihr zu verstehen gab, dass er in diesem Augenblick nicht über Alfreds Abstammung zu diskutieren gewillt war, lenkte sie ab und meinte, wie dem auch sei, Alfred wisse familiäre Erinnerungsstücke gar nicht zu schätzen. Es gäbe doch da dieses große Bild im Speisezimmer, das Moritz doch schon immer mochte.
Du mochtest das schon immer, dachte er, und deshalb quälst du mich jetzt wieder mit deinen Besitzansprüchen. Sagen tat er aber:
Mach dir keine Sorgen, wir werden das alles in Ruhe klären.
Aber sie ließ keine Ruhe. Sie erzählte vom Besuch seiner Mutter in Oakland und wie großartig ihr das gefallen hatte, von ihrer letzten Reise zu Baby nach Nizza, und es war erschreckend mitzuerleben, wie sie sich all dies schönredete. Seine Mutter war früher abgereist damals, weil sie sich mit Fanny nicht vertrug. Oder glaubte sie es tatsächlich selbst? Lediglich eine Frage der Wahrnehmung?
Sie redete und redete. Wie gut sie sich mit ihrer Schwiegermutter verstanden hatte und wie sehr sie auf einer Linie lagen, besonders was die Kunst, die Mode und die Ästhetik anging.
Moritz starrte auf die Straße.
Dann machte sie einen letzten Versuch, ihn doch noch davon zu überzeugen, dass sie morgen nachkäme, um bei der Beerdigung dabei zu sein. Das sei sie schließlich ihrer geliebten Schwiegermutter schuldig.
Sie wird es überleben, wenn du nicht kommst, sagte er, in Gedanken vertieft.
Fanny sah ihn an. Jetzt ist er total verrückt geworden?, dachte sie.
Ihm war klar, dass sie nur deshalb unbedingt nach Nizza kommen wollte, damit sie verhindern konnte, dass Alfred sie übervorteilte, indem sie Alfred übervorteilte.
Mir tut es genauso weh, dass deine Mutter tot ist,
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