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Herr Klee und Herr Feld | Roman

Herr Klee und Herr Feld | Roman

Titel: Herr Klee und Herr Feld | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Bergmann
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musizierte jetzt fast täglich mit ihr. Sie spielten Violinkonzerte von Beethoven, Mendelssohn, Mozart und Tschaikowsky. Nur bei Wagner wurde Moritz ungnädig und gerade dessen Werk war es, das sie dank ihrer Zeit beim West-Eastern Divan Orchestra schätzen gelernt hatte.
    Wagner hat seine jüdischen Kollegen, zum Beispiel Meyerbeer, musikalisch beklaut, mit Dreck überschüttet und kaltgestellt, sagte Moritz, er hat den Juden den Tod an den Hals gewünscht.
    Aber Sie müssen unterscheiden zwischen Mensch und Werk.
    Sehr richtig, rief Alfred dazwischen, wenn ich nur noch Autoren lesen würde, die keine Antisemiten waren, dann wäre meine Bibliothek halb so voll!
    Moritz stand vom Klavier auf.
    Mein Bruder übertreibt mal wieder maßlos, sagte er.
    Wieso? Alfred hatte sein Thema gefunden. Dostojewski, Celine, Simenon, Ezra Pound, Roald Dahl waren Antisemiten, oder?
    Ja, das stimmt, sagte Moritz.
    Und? Hast du sie nicht trotzdem gelesen? Hast du Kommissar Maigret nicht geliebt?
    Ja, aber heute lese ich das nicht mehr.
    Wieso, fragte Zamira, wird man nicht im Alter relaxter?
    Nein, fiel ihr Alfred ins Wort, man wird kleinmütiger und verbohrter. Sie sehen es ja an meinem Bruder!
    Moritz lächelte.
    Zamira, das ist alles Unsinn. Aber vielleicht wird man moralischer.
    Nein, widersprach sein Bruder. Man wird konservativer.
    Es fällt mir auf jeden Fall heute schwerer, zwischen der Haltung eines Künstlers und seinem Werk zu unterscheiden.
    Und wie ist das bei Wagner?, wollte sie wissen. Kann Musik antisemitisch sein? Nur weil Hitler Wagner verehrte?
    Hat er ihn als Musiker verehrt oder weil er ein Bruder im Geiste war? Das ist doch die Frage, antwortete Moritz.
    Beides! Woody Allen hat mal gesagt: Immer wenn ich Wagner höre, habe ich Lust, Polen zu überfallen!, sagte Alfred und alle lachten.
    Wie dem auch sei, sagte Moritz, Musik kann missbraucht werden und das ist bei Wagner der Fall.
    Einspruch, Euer Ehren, rief Alfred. Wagner konnte sich nicht dagegen wehren, was er bestimmt auch nicht getan hätte. Aber nehmen wir Schiller. Den kann man ja nicht als Antisemiten bezeichnen und trotzdem haben ihn die Nazis missbraucht. Der »Tell« war ihr völkisches Stück.
    Das ist wahr, sagte Moritz, aber bei Wagner liegt die Sache anders. Er passte in die Ideologie der Nazis mit seinen Mythen und all den Elementen, die die Deutschen so schmerzlich vermissten. Als Wagner seine Opern schrieb, »Parsifal« ausgenommen, gab es das Deutsche Reich noch nicht, aber eine große Sehnsucht danach. Er hat wie kein anderer dieses Herrenmenschentum transportiert. Die Überlegenheit der arischen Rasse und diesen Firlefanz. Wenn bei einem Menschen wie Wagner alles um diesen Judenhass kreist, dann braucht er ihn, wie die Luft zum Atmen.
    Trotzdem glaube ich daran, dass Musik unschuldig ist, sagte Zamira.
    Das dürfen Sie, meinte Moritz, es kommt drauf an, wie man sie wahrnimmt. Schostakowitsch wurde von Stalin geächtet, weil seine Musik angeblich zu aufrührerisch war, konterrevolutionär sozusagen. Und wenn wir sie heute hören, finden wir sie einfach nur überirdisch schön. Aber Stalin war hochgradig paranoid, wie alle Diktatoren, und hat nur seinem Misstrauen vertraut.
    Muss ich mir merken, das war gut, dachte er in diesem Augenblick.
    Ich finde es idiotisch, dass Wagner ist verpönt in Israel, meinte Zamira.
    Moritz wurde etwas ärgerlich.
    Und ich finde es idiotisch, dass die jüdischen Mitglieder ihres Orchesters in arabischen Ländern nicht auftreten dürfen!
    Was sollte sie daraufhin sagen?
    Moritz wechselte das Thema und ging zu dem Stapel Post, der auf dem Flügel lag.
    Ach, hab ich das schon erzählt? Ich bekomme den Frankfurter Kulturpreis.
    Super, gratuliere!, rief Zamira. Und das sagen Sie so nebenbei?
    Wissen Sie, was Billy Wilder gesagt hat, bemerkte Alfred daraufhin, Preise sind wie Hämorrhoiden. Jeder kriegt sie irgendwann mal!
    Sie lachte und Moritz meinte bissig:
    Dann hast du ja noch keine Hämorrhoiden, du Glücklicher!
     
    Die Westend-Synagoge war bis auf den letzten Platz besetzt. Der Vorsitzende des Zentralrats, Dr. Daniel Grünblatt, hatte seine Laudatio fast beendet.
    »Wir sind erfreut, mit Ihnen, verehrter Professor Kleefeld, einen »alten« Frankfurter auszuzeichnen, wenn ich mir erlauben darf, das zu sagen. Auch wenn Sie zwischenzeitlich im Ausland gelehrt haben, sind Sie Ihrer Geburtsstadt stets treu geblieben und dass Sie wieder in Frankfurt leben, ist uns eine besondere Ehre. Hier haben Sie auch ihr neustes

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