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Herr Klee und Herr Feld | Roman

Herr Klee und Herr Feld | Roman

Titel: Herr Klee und Herr Feld | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Bergmann
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Werk, »Das Toleranz-Gen«, geschrieben, für das wir Sie heute auszeichnen wollen …«
    Er machte eine kurze Handbewegung in die erste Reihe, wo Moritz neben dem Oberbürgermeister saß und sich nun erhob. Weiter links saßen Zamira und Alfred. Norma und einige andere Bekannte hatten vor Beginn der Feier schon befremdet geschaut, als die Brüder Kleefeld mit ihrer schönen Palästinenserin in der Synagoge erschienen waren. Es wurde getuschelt.
    Moritz stand jetzt auf der Empore und Grünblatt sagte:
    »… Ich darf Ihnen nunmehr im Namen der Deutsch-Jüdischen Kultur-Gesellschaft den diesjährigen Kulturpreis für Ihre Verdienste um die Freiheit des Wortes überreichen.«
    Während Moritz die Urkunde in Empfang nahm, gab es starken Beifall. Er trat an das Rednerpult und begann. Mit seinen ersten Worten bedankte er sich. Kurz zusammengefasst sagte er dann:
    »Ich habe mich in meinem beruflichen Leben mit der Psyche der Masse beschäftigt, wobei Psyche nur ein Hilfsbegriff ist, denn die Masse hat keine gemeinsame Psyche. Die Masse hat eine Psychose. Im Dritten Reich bestand sie darin, das Supremat des Deutschen zu beschwören. Deutsch war das Zauberwort, mit dem man die Individualität zerstören konnte. Es war die Antriebskraft des Kollektivs. Und auch deshalb mussten die Juden verschwinden. Sie waren die Verfechter der Individualität, sie waren die letzten lebenden Zeugen der Aufklärung. Mit den Büchern hat man nicht allein die Werke verfemter Dichter verbrannt, man hat »dem Volk des Buches« auf brutale Weise gezeigt, wie verzichtbar es ist.
    Zurück zur Psychose der Masse und damit zu einem Thema meines Buches: Israel. Eines der größten Probleme im Nahostkonflikt ist der Absolutheitsanspruch. Jeder Politiker, jeder Handelnde, auch jeder Terrorist geht von einem Absolutheitsanspruch aus, als sei genau diese Zeit, nämlich seine persönliche, aktuelle Lebenszeit, die Gegenwart also, die wichtigste aller Epochen. Als wären das menschliche Dasein und sein Zweck damit abgeschlossen. Die Zeit erfüllt sich, hieß es pathetisch zu Kaiser Augustus’ Zeiten. War aber nicht so, wie wir wissen. Der Planet drehte sich weiter und der Homo Politicus veränderte ihn. Und auch der Flecken, der sich heute Israel nennt, war ständig besetzt und fremdbestimmt: Die Assyrer waren da, die Ägypter waren da, die Babylonier waren da, die Etrusker, Phönizier, Griechen, die Römer, die Araber, die Kreuzfahrer, die Türken waren da, die Engländer waren da und jetzt … jetzt sind die Israelis da! Das ist das ganze Geheimnis. In zwei- oder dreihundert Jahren sind vermutlich andere da. Bedauerlich, aber so ist der Zeiten Lauf. Was lernen wir daraus? Leider nichts, denn sonst würden beide Seiten sagen: So what! Lass uns zusehen, dass wir gemeinsam was erreichen. Denn ich unterstelle einmal: Jeder will, dass es seinen Kindern besser gehen soll. Ich bin davon überzeugt, dass auf beiden Seiten die Vernünftigen in der Überzahl sind. Diejenigen, die ein besseres Leben wollen. Und nicht die Fanatiker, die ihren Kindern Sprengstoffattrappen um die Hüften hängen oder Raketen nach Israel schicken. Genauso wenig die Verblendeten, die aus New York ins Westjordanland gehen, weil sie einem angeblichen Gottesbefehl folgen.
    Damit zu den nationalen Psychosen: Auf der einen Seite der Holocaust, der für die Juden zur ideologischen Kernschmelze wurde und dessen Auswirkungen bis heute alles untergeordnet wird. Auf der anderen Seite die naqba, die »Katastrophe«, die Vertreibung von 1948 , nach der alle arabischen Uhren auf null gestellt wurden und was vorher war, von arabischer Seite negiert wird. Zum Beispiel die Tatsache, dass der Mufti von Jerusalem, Mohammed Al-Husseini, ein Unterstützer des Holocaust war. Unbestritten ist, dass die arabischen Nationen den UNO -Teilungsplan für Palästina nicht akzeptiert haben, dass sie einen Krieg begannen, um den jungen israelischen Staat zu zerstören. Viele Palästinenser verließen das Land auf Anweisung der arabischen Staaten, andere wurden vertrieben und mussten fliehen. Ihnen ist fraglos Unrecht geschehen, aber es war Resultat eines unnötigen, verlorenen Kriegs. Allein die Gleichsetzung von Holocaust und naqba ist unredlich. Als hätten Juden 1939 ein Friedensangebot ausgeschlagen und jüdische Armeen anschließend Deutschland überfallen!
    Wie dem auch sei, Araber und Juden haben diese tragischen Ereignisse auf ihre Weise absorbiert und zum Teil ihres Selbstverständnisses, ja ihres

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