Herr Klee und Herr Feld | Roman
ein.
Aber, Überraschung, die Stadt hielt sich nicht an die Vereinbarung, sondern berief sich kurzerhand auf das Einspruchsrecht des Reichssicherheitshauptamts in Berlin und deportierte den Bankier stattdessen nach Dachau.
In Hamburg lebte Baby mit ihren Söhnen bis 1941 unbehelligt in Altona. Ihre Eltern betrieben eine Gaststätte und der kleine Alfred und sein Bruder waren bei den Gästen beliebt. Baby servierte in der Kneipe. Ihr Vater Siegfried Petersen, genannt Siggi, war Sozialdemokrat, der die Verbindung seiner Tochter mit einem Juden zwar nicht begrüßte, aber billigte. Ebenso ihre Mutter, Oma Anni, die es schon aufgrund ihrer christlichen Haltung für unmenschlich ansah, wie man die Juden behandelte. Beide liebten ihre Enkelsöhne. Selbst von Onkel Holger, Babys jüngerem Bruder und NSDAP -Mitglied, war keine Gefahr zu befürchten. Dann aber musste jemand im Umfeld herausgefunden haben, dass Baby nicht nur mit einem Juden verheiratet, sondern zum Judentum konvertiert war.
Bei Nacht und Nebel flohen die drei mithilfe von Onkel Holger nach Dänemark, von dort nach Schweden, von da aus nach England und über Southampton mit einem der letzten Ozeanriesen nach New York. Das Haus mit der Gaststätte, Moritz erinnerte den Namen »Bierbrunnen«, wurde kurz vor Kriegsende von einer britischen Bombe getroffen. Das war das Ende von Opa Siggi, Oma Anni und Onkel Holger.
Moritz saß an diesem Abend noch lange auf dem Balkon seiner Mutter und beobachtete, wie die Nacht langsam über die schöne Stadt Nizza fiel. Dabei kamen ihm viele Gedanken und einmal musste er heftig weinen.
Es war heiß, der Weg war steil und Alfred war froh, als er endlich an der Seite von Moritz das kühle steinerne Gebäude betrat. Die wenigen Trauergäste saßen nicht wie in der Synagoge in Reihen, sondern die Stühle standen entlang der vier kahlen Wände.
Durch ein Oberlicht fiel ein Sonnenstrahl in die Mitte des Raums auf einen schlichten Sarg aus Pinienholz, der auf einer Bahre stand. Einige wenige Menschen saßen auf den Stühlen, nickten stumm, als Moritz und Alfred sich ebenfalls setzten.
Zwei ältere Frauen in Schwarz hockten nebeneinander, bewegten die Oberkörper vor und zurück und beteten inbrünstig. Ab und zu erscholl dazwischen ein Schluchzen. Auch ein monotoner, orientalisch anmutender Singsang war zu hören. Vermutlich waren sie professionelle Klageweiber, dachte Moritz, und erwarteten einen Bakschisch. Durch eine Nebentür wackelte Madame Mosbach mit ihrem Rollator. Alfred bekam ein schlechtes Gewissen, weil sie der alten Dame heute Morgen nicht angeboten hatten, sie im Taxi mitzunehmen. Sie grüßte ernst und setzte sich auf eine kleine separate Steinbank, auf der ein Kissen lag. Dann erschien der Rabbiner.
Avram Abou war ein gut aussehender, bronzefarbener Mann, mittelgroß und schlank, mit einem gepflegten Bart, dunklen Augen, weißen Zähnen. Der perfekte Jesus-Darsteller, dachte Alfred. Mit einem Wink bat er Moritz und Alfred, ihm in den Nebenraum zu folgen.
Hier traf die Brüder Kleefeld fast der Schlag! Der Raum war der Leichenwaschraum! In der Mitte lag, auf einem steinernen Tisch mit Abflussrinnen, die tote Mutter, in ein weißes Tuch eingewickelt. Über ihr kamen von der Decke lose Ketten, an Seilwinden befestigt und schwebten einen Meter über dem Tisch. An den gekachelten Wänden befanden sich Waschbecken und offene Regale mit Reinigungsmitteln, Seifen, Watte, Lotionen, Scheren, Bürsten, Tüchern und Laken. In einer Ecke lagen Gebetbücher. An einem Wasserhahn hing ein Schlauch, daneben an einem Haken ein talles.
Der Rabbiner hatte Alfred und Moritz kondoliert und sie gebeten, ihre Mutter gemeinsam in den Sarg zu legen. Die Brüder waren verwirrt, so etwas kannten sie aus Mitteleuropa nicht.
Das ist eine mizwah, sagte der Rabbi.
Moritz nahm das Kopfende, Alfred die Füße. Wie klein und leicht sie war! Sie trugen ihre Mutter in den Betraum, wo der Rabbi bereits den Sargdeckel abgenommen hatte. Behutsam legten sie Baby in den Sarg und dabei weinten beide.
Als der Rabbi den Deckel auf den Sarg legte, nahmen sich die Brüder in die Arme und hielten sich ganz fest. Einige Trauergäste weinten, riefen Worte aus dem Kaddischgebet und die Klageweiber jammerten so laut sie konnten. Danach begann Rabbiner Abou mit seiner Rede:
Liebe Freunde, wir beerdigen heute unsere liebe Freundin …
Er schaute fragend zu den Brüdern Kleefeld.
Batya bat Shlomo, rief Moritz ihm zu.
… Batya bat Shlomo, die eine
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