Herr Klee und Herr Feld | Roman
keiner gefragten Gegend. Ihr Vater war Schneider und arbeitete für einen Konfektionär, der das Kaufhaus Marks & Spencer belieferte. Die Bloomlands waren den Ansprüchen ihrer Tochter nicht gewachsen. Sie tanzte ihnen auf der Nase herum, durfte alles tun, was sie wollte, sogar Schauspielerin werden. Und das, obwohl eine wohlmeinende Lehrerin von der Royal Academy of Performing Arts händeringend abgeraten hatte. Debra ignorierte alle Ratschläge. So geriet sie einige Monate später in die Fänge des Tyrannen und in Alfreds Bett.
Für diesen war die Begegnung mit der jungen Engländerin eines von zahlreichen Abenteuern, die stets nach Drehende vorbei waren. Nicht so für Debra, die guter Hoffnung nach London zurückkehrte. Aber Alfred war nicht bereit für ein Leben mit Frau und Kind. Er überzeugte Debra davon, die Schwangerschaft abzubrechen. Sie hatte eine Adresse in den Niederlanden ausfindig gemacht und Alfred schickte ihr das Geld für die Reise und den Eingriff. Damit, dachte er, sei die Sache für ihn erledigt. War sie aber nicht, denn Debra bekam in der Abtreibungsklinik plötzlich Skrupel und fuhr zurück nach England. Sie rief Alfred an, teilte ihm ihre Entscheidung mit und entband ihn von jeglicher Verantwortung. Sie würde das Kind bekommen und es allein großziehen.
So kam der kleine Harold in die Welt. Alfred schickte in den ersten Jahren unaufgefordert Geld oder kleine Geschenke. Dann heiratete Debra Howard Winter, einen gutmütigen jüdischen Eisenwarenhändler, der den Knaben adoptierte und von da an dessen offizieller Vater wurde. Leider war dem braven Mann kein langes Leben beschieden. Er starb bezeichnenderweise in dem Moment, als Harold die renommierte und kostspielige London School of Economics besuchen wollte. Jetzt musste Debra ihrem Sohn die Wahrheit gestehen und sprach also zu dem Knaben:
Mein Kind, Harold, mein einziger Sohn, dein Erzeuger ist nicht, wie du fälschlicherweise annehmen musstest, der gewiss aufrechte, aber doch bescheidene Eisenwarenhändler Howard, von dir stets liebevoll »Dad« genannt, sondern kein Geringerer als Freddy Clay, der berühmte, viel beschäftigte und wohlhabende Weltschauspieler, der in Rom in einem Palazzo lebt, in edelste Gewänder gekleidet, und von vergoldeten Tellern Krammetsvögel isst. Er wird dir sicher gern dein Studium finanzieren. Wohl an denn!
So erhielt Alfred unerwartet einen Jammerbrief von einem gewissen Harold Winter und zeigte sich einsichtig. Er beteiligte sich an der teuren Ausbildung und lud den Knaben vor fünfundzwanzig Jahren nach Rom ein, um den erfolgreichen Studienabschluss und das Ende der Unterstützung zu feiern. Denn Harold hatte einen gut dotierten Job als Investmentbanker bei Barclays ergattert.
Die Woche mit Harold gehörte zu Alfreds düstersten Erinnerungen. Sein Sohn war der missmutigste, engstirnigste, spießigste, humorloseste, kurz unjüdischste Mensch, den man sich nur vorstellen konnte. Es gab nichts, wofür er sich nur ansatzweise interessierte. Keine Kunst, keine Musik, keine Historie, nur Börsencharts. Eines von Alfreds ungeschriebenen Gesetzen lautete: Sei nie mit jemandem befreundet, der nicht über Woody Allen lachen kann!
Alfred saß neben Harold im Kino. Der sah sich »Hannah und ihre Schwestern« an und Alfred sah sich seinen Sohn an und dachte, das konnte nicht sein. Der Kerl verzog keine Miene! Als sie aus dem Film kamen, fragte Alfred vorsichtig, wie es Harold denn gefallen hatte, und sein Sohn antwortete:
Ich bin nicht gern in New York. Ich weiß auch nicht, warum.
Alfred versuchte es noch einmal:
Der Film war doch witzig, nicht?
Ich hasse Filme mit Untertiteln, meinte Harold.
Aber der Film war im Original, die Untertitel waren italienisch! Ist dir das nicht aufgefallen?
Doch sicher, meinte sein Sohn daraufhin, aber Untertitel lenken mich ab. Ich lese sie immer mit, egal in welcher Sprache!
Alfred war bedient.
Auch das Café »Greco«, in dem bereits Goethe einer der Gäste war, beeindruckte Harold nicht.
In England hätten wir so was abgerissen, war sein Kommentar.
Und St. Paul’s Cathedral fand er attraktiver als den Petersdom.
Schließlich blieb nur noch das Abendessen im berühmten »La Rosetta«, aber auch hier war Harold nicht zu beeindrucken.
Ich bin mehr so der Fish-’n’-Chips-Typ, meinte er.
Als die British-Airways-Maschine in den Wolken über Rom verschwand, stand Alfreds Entschluss fest:
Never ever again!
Es waren fünfundzwanzig angenehme kinderlose Jahre
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