Herr Klee und Herr Feld | Roman
hereinstürmte und ihr überschwänglich einen Kuss auf die Wange drückte.
Die Hanauer Landstraße nahm kein Ende. Es war über fünfzig Jahre her, dass Alfred zum letzten Mal hier gewesen war, und er war perplex.
Madonna, rief er, wie das hier aussieht, unglaublich!
Hn? Der türkische Taxifahrer verstand nichts.
Die haben ja alles zugebaut, rief Alfred.
Nee, sagte der Fahrer, war so immer.
Wie lange leben Sie in Frankfurt?, fragte Alfred.
Fünfzehn Jahr, sagte der Mann.
Ach so, dann, sagte Alfred.
Nummer?
572 , es ist ein Filmstudio.
Da gibt’s kein Filmstudio, sagte der Fahrer.
Fünf Minuten später waren sie am Ziel.
Hier hatte sich der Verwaltungs- und Lagertrakt eines Versandhauses befunden, das dem Online-Geschäft zum Opfer gefallen war. Nun wurde das Gelände gelegentlich als Filmset genutzt. Auch heute herrschte ein anregendes Treiben, als Alfred mit langen Schritten über den Parkplatz zum Hauptgebäude ging.
Er fühlte sich wie in alten Zeiten. Kulissen wurden geschoben, ein Kran von Bühnenarbeitern bewegt, ein Beleuchter zog eine Stahlkarre mit zwei Scheinwerfern.
Verzeihen Sie, ich suche Haus zwei, sagte Alfred.
Der Mann zeigte stumm mit einer Kopfbewegung in eine Richtung.
Alfred sagte:
Vielen Dank. Auch Ihnen einen schönen Tag noch.
Auf einem Flur fragte Alfred einen jungen Mann nach dem Aufnahmeleiter.
Er war eben hinten in der Maske, glaube ich, oder auch nicht, bekam er zur Antwort.
Alfred ging weiter den Flur entlang, bis er fand, was er suchte.
Er klopfte und steckte gleichzeitig den Kopf zum Maskenraum herein.
Hallo, sagte er, ich bin Freddy Clay. Wo finde ich Herrn Bergmann …
Vor einem Spiegel saß eine Schauspielerin, die gerade geschminkt wurde. Die Maskenbildnerin dahinter ließ ihn gar nicht ausreden.
Was’n hier los? Trampeln Sie immer so mir nix, dir nix rein?
Verzeihung, sagte Alfred und schloss die Tür wieder.
Diese Komparsen, sagte die Maskenbildnerin, kommen sich immer weiß Gott wie wichtig vor.
Als Alfred um die Ecke kam, nahm er eine Situation wahr, die er sich gern erspart hätte: Vier Männer seines Alters saßen auf Plastikstühlen vor einem Zimmer und blickten ihn mehr oder weniger aggressiv an. Es war also doch ein Casting vorgesehen. Am Telefon hatte es sich für ihn angehört, als habe er diesen Job sicher. Der Aufnahmeleiter kam aus dem Zimmer. Er begrüßte die Männer, erkannte Alfred, gab ihm die Hand und sagte:
Tag. Bergmann. Wir fangen mit Ihnen an, Herr Clay.
Also doch, dachte Alfred, er war hier noch jemand.
Dann gingen sie los. Die anderen Männer tuschelten.
In einem Nebenraum des improvisierten Studios befand sich der Regisseur, der mit seiner Assistentin sprach und ihn keines Blickes würdigte, als sie eintraten.
Der Herr Clay ist hier, sagte der Aufnahmeleiter.
Alfred stand ein paar Sekunden stumm, bevor sich der Regisseur zu ihm bequemte und ihm kraftlos die Hand gab.
Tag. Sie sind das also, meinte der junge Mensch. Er war kleiner als Alfred, hatte einen dünnen Milchbart und einen Motivsucher um den Hals hängen, mit dem er wohl glaubte, einen alten Hasen wie Freddy Clay beeindrucken zu können.
Während der Regisseur begann, durch den Motivsucher zu schauen und um Alfred herumzukreisen, sagte er:
Sie haben nicht mehr viel gedreht in den letzten Jahren.
Stimmt, meinte Alfred, ich habe geschrieben.
Hatten Sie keine Lust mehr, vor der Kamera zu stehen?
Doch, aber die Drehbücher waren zu schlecht.
Ich habe Sie mir eigentlich noch etwas jünger vorgestellt, sagte der Regisseur.
Jünger? Alfred schaute fragend. Sie haben doch eine Maske. Ich habe mit dreißig schon Vierhundertjährige gespielt!
Tja, umgekehrt ist es schwieriger.
Er schaute zu seiner Assistentin.
Sie tippte aufs Drehbuch.
Ach ja, sagte er dann, mal unter uns, stimmt es, dass Sie nicht mehr so textsicher sein sollen?
Alfred war verärgert.
Quatsch! Wer sagt denn so was? Die lieben Kollegen, stimmt’s? Sie schneiden doch? Oder drehen Sie den Film in einem durch?
Wie meinen Sie das?
Wenn die Takes nicht Hamlet-Monologe sind, kein Problem.
Er lächelte dabei, aber sein Witz kam nicht an.
Noch einmal ging der Regisseur um ihn herum, nahm seinen Motivsucher vom Auge und sagte:
Ich weiß nicht … irgendwas an Ihnen gefällt mir nicht.
Sie werden lachen, meinte Alfred daraufhin, geht mir genauso!
Der Regisseur sagte im Weggehen:
Wir melden uns.
Das kenne ich.
Wie? Der Regisseur schaute dämlich.
Don’t call us, we call you!, sagte
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