Herr Klee und Herr Feld | Roman
wissen.
Er hatte ein spontanes »Nein« erwartet und hörte stattdessen Moritz sagen, nachdem dieser lange auf seine Hände geschaut hatte, die immer noch die Lesebrille hielten:
Ja.
Möchtest du darüber sprechen?, fragte Alfred.
Es ist eine mysteriöse Geschichte, sagte Moritz. Eine Sache, die ich schnell vergessen wollte, aber an die ich bis heute fast täglich denken muss. Obwohl sie schon fast zwanzig Jahre zurückliegt.
Er machte eine Pause, schaute zur Wand, als würde er dort etwas finden.
Ich war über das Wochenende mit ein paar Kollegen nach Big Sur gefahren, wo einer von ihnen ein Haus am Meer besaß. Fanny musste mich sogar dazu überreden, denn ich war ja nie so ein Barbecue-Typ. Aber weil auch der Dekan anwesend sein sollte, hielt sie es für opportun und strategisch geschickt, wenn ich mich der Gruppe anschließen würde. Außerdem konnte ich das Bild vom introvertierten jüdischen Intellektuellen korrigieren. Die Kollegen hatten mich bis dato eher als einen ernsthaften Wissenschaftler kennengelernt, der niemals über die Stränge schlagen würde. Ich wollte ihnen das Gefühl geben, dass ich einer von ihnen sei. Bereits während der Fahrt wurde heftig gebechert, ich trank, glaube ich, dass erste Mal in meinem Leben Bier aus der Dose. Als wir an jenem Freitagabend in dem Ferienhaus ankamen, waren wir alle schon ziemlich betrunken. Freitagabend, stell dir vor! Ich fühlte mich ein wenig wie Hiob, den Gott prüfen wollte. Ich war der einzige Jude in der Runde und wollte kein Außenseiter sein und so trank ich und trank, bis ich schicker wie a goj ins Bett fiel.
Am nächsten Tag fühlte ich mich zwar ziemlich erledigt, fuhr dann doch mit dem Hausherrn, meinem Kollegen Robert Robertson, den wir alle Bob Bobson nannten, zu einem Supermarkt, um Proviant für das Barbecue zu besorgen. Bob war Ethnologe, ein ehemaliger Quarterback. Groß, bullig, a klotz. Ein verlässlicher Kerl. Er hatte viele Jahre im guatemaltekischen Dschungel verbracht. Während er Tonnen von Würstchen, Steaks und Pork Ribs kaufte, besorgte ich für mich Chicken Wings und Pappteller und hoffte nur, mein Essen grillen zu können, bevor sie ihren Schweinefraß auf das Feuer warfen. Als ich auf den Parkplatz kam, stand Bob ein paar Meter von unserem Wagen entfernt und sprach mit einer attraktiven, exotischen Frau um die vierzig, die einmal kurz zu mir herübergelächelt hatte, wie mir schien. Sie ging mir jedenfalls nicht mehr aus dem Kopf und auf dem Rückweg fragte ich Bob nach ihr. Sie hieße Allison, erklärte er, und sie habe mal in der Nachbarschaft gewohnt. Sie käme aus Hawaii.
Du hättest sie einladen sollen, für heute Abend.
Das habe ich getan, sagte Bob. Vielleicht kommt sie.
Den ganzen Nachmittag ging mir diese Frau nicht mehr aus dem Kopf. Obgleich ich sie nur ein paar Sekunden gesehen hatte und mir bang war vor der Situation, wünschte ich sehnsüchtig, sie würde erscheinen. Ein törichter Gedanke. Der Abend verlief, wie ich befürchtet hatte. Man hing herum, man schwatzte über die Uni, über Kollegen, es wurde gelästert und gelacht, wieder viel getrunken. Ich grillte meine Hühnerstücke auf dem Schweinegrill und verschlang sie mit Ketchup und diversen nicht koscheren Soßen. Es war schon fast Mitternacht, als sie plötzlich vor mir stand! Ich hatte ein Auto gehört und Leute gesehen, die in den Garten gekommen waren, aber hätte niemals geglaubt, dass Allison dabei sein könnte. Sie setzte sich neben mich ins Gras und wir begannen, miteinander zu sprechen, und ich hatte das Gefühl, dass ich sie schon ewig kennen würde. Ich kann es gar nicht genau beschreiben, aber mein Herz öffnete sich. Sie stellte kluge Fragen, sie berührte wunde Punkte in meiner Seele, sie war wie eine wiedergefundene, vertraute Freundin. Später gingen wir wie selbstverständlich Hand in Hand hinunter zum Meer, legten uns nebeneinander in den Sand und redeten und redeten und warteten auf den Sonnenaufgang. Sie erzählte von Hawaii, das ihr fehlte, das irgendwo fernab von hier weit im Pazifik lag, von ihrem eintönigen Leben, ihrer kaputten Ehe und von Hoffnungen, die sich nie erfüllt hatten. Während sie sprach, kam es fast zufällig zu kleinen, liebevollen Berührungen zwischen uns. Es war bereits früher Morgen, als wir ins Haus schlichen, in mein Zimmer kamen, auf das Bett fielen, uns gegenseitig hektisch auszogen und mit ungezügelter Leidenschaft liebten. Und ich machte Erfahrungen und lernte Emotionen kennen, die ich nicht
Weitere Kostenlose Bücher