Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr Klee und Herr Feld | Roman

Herr Klee und Herr Feld | Roman

Titel: Herr Klee und Herr Feld | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Bergmann
Vom Netzwerk:
er.
    … außer, dass ich nicht jemand anderes geworden bin!, setzte Alfred fort.
    Moritz lachte.
    Das ist gut, sagte er.
    Leider nicht von mir, meinte Alfred. Das ist von meinem Adorno. Woody Allen!

[zurück]
    22
    Es ist schon merkwürdig, dachte Alfred, jahrelang passiert nichts und dann überschlagen sich die Ereignisse. Zuerst Halina, dann Ilona und nun Juliette! Wieder schaute er auf die Mail, die vor ein paar Minuten gekommen war:
    mein lieber freddy, wie schön, von dir zu hören. habe mich auch oft gefragt, wo du wohl stecken magst, aber dass du ausgerechnet in unserem alten frankfurt gelandet bist! ich lebe nach wie vor in zürich. meine söhne sind aus dem haus. ich habe nach wie vor meine praxis, sonst würde mir die decke auf den kopf fallen. wenn du magst, können wir uns sehen. ich wollte zur jahrzeit meiner mutter am 22 . nach frankfurt kommen und auf den friedhof gehen. ich sag dir noch genau bescheid, wann ich ankomme. gib mir dein tel. dann rufe ich an.
    bisous, juliette
     
    Kannst du dich noch an Juliette Lubinski erinnern?, fragte Alfred während des Mittagessens seinen Bruder.
    Na sicher. Pessach, bei dem dicken Anwalt und seiner Frau. Arbeitet sie nicht in der Schweiz als Therapeutin?
    Sie kommt nach Frankfurt. Mich besuchen.
    Schön, meinte Moritz, lade sie zu uns ein. Ich würde sie gern wiedersehen. Deine erste Liebe.
    Alfred lächelte. Manchmal war sein Bruder doch nicht so fernab, wie man annehmen konnte.
    Zamira kam und während sie das Geschirr abräumte, sagte sie:
    Ich habe eine Frage.
    Fragen Sie, meinte Moritz.
    Habe ich Urlaub?
    Na sicher, sagte er, Sie haben bezahlten Urlaub.
    Nein, Sie müssen das nicht bezahlen.
    Worum geht es? Setzen Sie sich.
    Zamira klemmte sich schüchtern auf eine Stuhlkante.
    Mein Cousin heiratet. In Beirut.
    Der Cousin, den Sie heiraten sollten, sagte Alfred.
    Ja, amüsierte sie sich, genau!
    Und da wollen Sie hinfahren und dafür brauchen Sie Geld und Urlaub.
    Urlaub ja, kein Geld. Ich habe gespart.
    Sie kriegen Urlaubsgeld, sagte Moritz, keine Widerrede!
    Wann soll das sein?, fragte Alfred vorsichtig.
    Ende des Monats, sagte die junge Frau, zwei Wochen.
    Okay, meinte Moritz, aber nur wenn Sie versprechen zurückzukommen.
    Sie lachte, sprang auf und trug fröhlich das Geschirr nach draußen.
    Sie fehlt mir jetzt schon.
    Mir auch.
     
    Obwohl Alfred seine Kindheit in New York verbracht hatte, er amerikanisch sozialisiert worden war, wie man es auch nennen könnte, lehnte er Essen in Kinos ab. Als würde man in zwei Stunden verhungern, schleppten die Leute Berge von Popcorn, Tacos, Chips oder Hamburger mit in den Saal, mampften, knisterten und stopften während der Vorstellung alles in sich rein. Nicht nur, dass diese Picknicks die Aufmerksamkeit und Erlebnisbereitschaft auch der anderen Besucher einschränkte, es roch unangenehm und am Ende sah es aus wie nach einem Tornado. Nicht alles, was die USA vorlebten, war nachahmungswürdig, kam ihm in den Sinn, als er in der Lobby des Cinemaxx stand und auf Halina wartete. Sie kam ihm vor wie ein scheues Tier, das sich nur mit Tricks aus der gewohnten Umgebung locken ließ. Alfred konnte es nicht verstehen, dass Menschen sich nicht für Filme interessierten. Manchmal ging er bevorzugt in frühe Vorstellungen, in denen er oft der einzige Zuschauer war und nicht von essenden Menschen behelligt wurde. Viele Blockbuster besorgte er sich auf DVD . Die schaute er sich nachts auf seinem Laptop mit Kopfhörer im Original an. Nur in Ausnahmefällen konnte er Moritz davon überzeugen, sich mit ihm gemeinsam Filme wie »Fluch der Karibik« oder »Tim und Struppi« auf der Leinwand anzusehen. Für seinen Bruder war Kino Zeitverschwendung. Die Filme der Coen-Brothers oder die von David Lynch waren vom Niveau her das unterste, was der Professor akzeptierte. Noch heute schwärmte er von solchem Psychoquatsch wie »Letztes Jahr in Marienbad«, »Die Einsamkeit des Langstreckenläufers« oder »Das Schweigen«, Filme, die man nicht einmal nacherzählen konnte.
    Jetzt wollte sich Alfred mit Halina »Frankfurt Coincidences« ansehen, ein Film, der in verschiedenen Episoden vom Schicksal einiger Bewohner eines Frankfurter Wohnhauses erzählte. Alfred ging nur selten in deutsche Filme, er wurde zu oft enttäuscht. Meistens waren sie lustfeindlich, schicksalsbeladen und naturalistisch. Magersüchtige junge Menschen in Unterwäsche saßen in Wohnküchen und schauten auf Innenhöfe. Die Frauen hielten sich mit beiden Händen an dicken

Weitere Kostenlose Bücher