Herr Klee und Herr Feld | Roman
Bechern mit Kräutertee fest, die Männer tranken Sojamilch aus Mehrwegflaschen und entwarfen Transparente für eine Demo. Es ging in der Regel um so sinnliche Themen wie Arbeitslosigkeit, Klimawandel, Pestizide, Gier der Banken oder Hartz IV , Themen, von denen er jeden Tag auf Spiegel Online lesen konnte. Warum sollte ein frustrierter Mensch ins Kino gehen, um sich dort frustrierte Menschen anzusehen?
Er würde sich auch den heutigen Film niemals angesehen haben, wenn nicht einige aus dem Drehteam ihn empfohlen hätten, in der Hauptsache deshalb, weil sie irgendwie daran mitgearbeitet hatten und weil er, selten genug, in Frankfurt spielte. Es war schön, vertraute Orte auf der Leinwand wiederzuerkennen.
Halina kam in letzter Minute und so konnte sich Alfred nicht mehr in die letzte Reihe setzen, was er gern tat. Während sie die Werbung über sich ergehen ließen, flüsterten sie miteinander, eine Unart, die Alfred anderen übelnahm, selbst wenn auf der Leinwand so profane Dinge abgehandelt wurden wie die Kraft eines Deos oder die Sparsamkeit eines französischen Kleinwagens. Er sah zu Halina. Er wurde nicht klug aus dieser Frau. Sie war freundlich, teilweise sogar herzlich, dann nahm sie sich wieder zurück und fremdelte. Nach einigen erfolglosen Versuchen hatte er davon Abstand genommen, sie zu berühren, denn sie ließ bei jedem Versuch deutlich ihre Ablehnung erkennen. Als der Film begann, besah sich Alfred neugierig ihr anmutiges Profil, bis sie es bemerkte und ihn verwundert anschaute. Der Film war schnell erzählt: In einem Haus leben Menschen unterschiedlicher Herkunft. Ein arabisches Mädchen wird von ihrem heimlichen deutschen Freund schwanger. Eine andere junge Frau muss sich prostituieren, um über die Runden zu kommen und ihr Kind durchzubringen. Ein Flüchtling aus Afrika leidet unter einem Kriegstrauma und hat Angst, abgeschoben zu werden, und schließlich gibt es da noch einen emeritierten Professor, der kaum noch Kontakt zur Außenwelt hat. Der Filmemacher hatte lautere Absichten. Es war ein bedrückender Film, ein realistischer Film, ein Film, den man nicht sehen mochte.
Aber er kam von Herzen, sagte Halina beim Hinausgehen.
Das Gegenteil von gut ist gut gemeint, sagte Alfred kurz.
Auf dem Weg zur Hauptwache erzählte er vom »Café Wipra«, das es in den fünfziger Jahren hier gegeben hatte, das »Café der Tierfreunde«, wie es damals hieß. Zwischen Aquarien, Volieren, Käfigen, Kletterbäumen und Stangen saßen die Gäste an Tischen, hatten Kännchen mit dem guten Onko-Kaffee vor sich und Schwarzwälder Kirschtorten. Umgeben von exotischen Tieren wir Affen, Vögeln, Echsen oder Fischen. Am Eingang saß ein uralter, großer, bunter Papagei, der jeden Gast, der das Café verließ, fragte: Haste auch bezahlt? Nur bei Gästen, die hinausgingen, machte er das. Bei Besuchern, die kamen, rief er: Ei Gude!
Hier in diesem Café hatte Alfred als Junge mit seiner Mutter, Onkel David und seinem Bruder gesessen, den Serengeti-Eisbecher vor sich, und die vielen Tiere bestaunt, die um ihn herum pfiffen, krähten, quietschten, krächzten, bellten, schrien oder nur stumm herumschwammen. Heute würde man das als Tierquälerei bezeichnen, so viele Tiere im Lärm des Cafés und, wie vor Jahren noch, im Zigarettenqualm. Wenn das Wipra nicht schon verschwunden wäre, hätten Tierschützer, davon war Alfred überzeugt, dafür gesorgt, dass es zumachen müsste.
Mögen Sie Tiere?, fragte Alfred seine Begleiterin und Halina sagte:
Tiere sind mir egal.
Sie erzählte von ihrer Nachbarschaft in Tel Aviv und dass es mehrheitlich die jeckes, die älteren jüdischen Emigranten aus Deutschland waren, die eine besondere Liebe zu den wilden Katzen und den herrenlosen Hunden entwickelten und sie durchfütterten. Auch dann, wenn sie selbst kaum etwas zum Leben hatten.
Hatten Sie je Tiere?, fragte sie ihn.
Ja, sagte Alfred, ich hatte mal einen Hund und ich denke heute noch fast täglich an ihn, obwohl er schon seit über zwanzig Jahren tot ist.
Erzählen Sie von ihm.
Sie machen sich doch nichts aus Tieren, wandte er ein.
Erzählen Sie schon. Sie möchten doch über den Hund sprechen, oder?
Der Hund hieß Lupa, was auf Deutsch »Wölfin« heißt. Obwohl sie eher wie ein Fuchs aussah. Sie ist über fünfzehn Jahre alt geworden. Mindestens, denn ich weiß nicht genau, wie alt sie war, als ich sie bekam. Wir drehten einen Abenteuerfilm auf Stromboli und saßen jeden Abend mit der ganzen Crew am Hafen vor einer Kneipe.
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