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Herr Klee und Herr Feld | Roman

Herr Klee und Herr Feld | Roman

Titel: Herr Klee und Herr Feld | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Bergmann
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letzten Jahren eher selten, dass ein Zug pünktlich war. Der Nimbus der zuverlässigen deutschen Bahn war dahin, der Lack war ab. Pünktlich wie die Bahn war in früheren Jahren ein Wertsiegel. Alle reden vom Wetter, wir nicht. Aus und vorbei. Aber das galt nicht nur für die Bahn, das galt für nahezu jeden Lebensbereich. Autos wurden zurückgerufen, Organe wurden verschoben, Flughäfen und Philharmonien nicht rechtzeitig eröffnet, Babys vertauscht, Mitarbeiter zu Unrecht entlassen, Gelder ins Ausland geschafft, Konkurse manipuliert, Schiedsrichter bestochen, Lebensmittel vergiftet. Deutschland wurde langsam ein Land wie jedes andere auch. Nicht weit weg von Italien. Letztlich beruhigend. Es gab kein deutsches Wesen mehr, an dem die Welt genesen konnte. Aber Züge konnten sie bauen. Ja, schön war er, der ICE , dachte Alfred, als die lange Schnauze des Zuges langsam auf ihn zurollte.
    Würde er Juliette wiedererkennen?, ging es ihm durch den Kopf, als die Reisenden an ihm vorbeieilten, ihre Rollkoffer hinter sich herziehend. Der Rollkoffer, dachte er, welche grandiose Erfindung! War es nicht ein gewisser Paul Roll gewesen? Er musste grinsen.
    Alfred bewegte sich nicht vom Fleck, reckte sich, sah in die vielen Gesichter. Es war immer wieder verblüffend, jeder Mensch sah anders aus. Nur nicht in China. Aber das dachten die da drüben von uns auch: Alle Langnasen sehen gleich aus!
    Dann sah er sie. Juliette! Damenhaft, elegant, wie sie es schon als Teenager war. Sie strahlte, winkte. Sie hatte sich nicht verändert, nur reifer war sie geworden. Dann ließ sie ihren Rollkoffer stehen und sie fielen sich wortlos in die Arme. Sie drückte ihren Kopf an seine Brust und sie hielten sich ganz fest, wie vor hundert Jahren in der schaukelnden Straßenbahn.
    Freddy, sagte sie und sah zu ihm hoch.
    Juliette! Er strich ihr über das Haar. Es war wie in einem schlechten Hollywoodfilm, so kam es ihm vor. Das Leben war ein schlechter Hollywoodfilm!
    Du hast dich kaum verändert, sagte Alfred.
    Außer, dass ich inzwischen Großmutter bin.
    Sie saßen nebeneinander im Taxi und das Herz schien ihr überzugehen. Sie plapperte und plapperte. Sie hatte inzwischen einen leichten Schweizer Tonfall, das gefiel Alfred.
    Mein ältester Sohn, der Noah, war schon ganz früh ein Fan von dir. Er rannte in jeden Film. Und als ich ihm sagte, dass wir Jugendfreunde waren, ist er fast ausgeflippt. Mama, sagte er einmal, warum hast du nicht den Freddy Clay geheiratet, dann wär der jetzt mein Papa, oder! Ich habe dich mal um ein Autogramm gebeten, erinnerst du dich? Ich habe an deinen Agenten geschrieben und tatsächlich kam dann ein Bild von dir mit Grüßen für Noah.
    Alfred nickte, aber er erinnerte sich nicht.
    Und, was machst du so?, fragte sie ihn irgendwann.
    Ich habe jeden Tag Ferien, sagte Alfred, das ist sehr aufregend.
    Juliette lachte. Sie hatte im Hilton in der Hochstraße reserviert und als das Taxi hielt, sah sich Alfred verwundert um.
    Das Stadtbad Mitte ist ja verschwunden!, rief er.
    Ja, mein Lieber, das ist jetzt der Pool des Hotels.
    Eine Gedenktafel hätten sie aber anbringen können, für uns, sagte er.
    Sie lachte immer noch mädchenhaft.
    Ich habe ein Zimmer reserviert, sagte Juliette am Empfang, Tisch, Zürich.
    Ja, natürlich, Frau Dr. Tisch, sagte die Frau hinter dem Tresen, auf deren Namensschild »Ramona« stand, Sie waren ja schon bei uns.
    Ramona, dachte Alfred, gab es nicht mal einen Schlager, der so hieß? War der nicht von zwei Indonesiern? Blue Diamonds! Mein Gott, dass ihm das jetzt eingefallen war.
    Während Juliette eincheckte, dachte Alfred an die gemeinsamen Stunden im Stadtbad Mitte. Er hatte wieder den abgestandenen Geruch der Umkleidekabinen in der Nase, Dampf und Schweiß, die glitschigen Holzpaletten, über die man ging, die lauwarmen Duschen, bunte Bändchen mit Schlüsseln an dünnen Handgelenken. Das Kreischen von Kindern in der großen, verglasten Schwimmhalle. Die schrille Pfeife des Bademeisters. Im Wasser dann die scheuen Berührungen, das Wettschwimmen, das Untertauchen, an den Beinen ziehen, lachen, schüchterne, gechlorte Küsse. Meistens blieb er länger im Wasser als sie. Die Erektion musste abklingen. Daher der Name Abklingbecken!
    Er schmunzelte.
    Wie geht es jetzt weiter, riss sie ihn aus seinen Gedanken, you are the captain.
    Willst du dich ein wenig frisch machen und wir sehen uns dann später?
    Frisch machen! Sie lachte. Hältst du mich für nicht mehr ganz frisch?
    Sorry, sagte Alfred,

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