Herr Klee und Herr Feld | Roman
rechtmäßig erworben und es war sicher nicht billig. Sie haben es renoviert und es ist jetzt euer Zuhause. Den Leuten, von denen sie es gekauft haben, gehörte es wahrscheinlich zu Unrecht. Aber die leben nicht mehr und ich bin fast achtzig Jahre alt und habe keine Lust, mich mit den Erben dieser Menschen herumzuschlagen. Deshalb lassen wir am besten alles so, wie es ist. Okay?
Der Junge nickte stumm.
Ich muss hier weg, sagte Alfred, als er hinter dem Lenkrad saß und sie zum Hotel fuhren. Moritz sah ihn an:
Was heißt, du musst weg?
Ich will nicht mehr länger in dieser Stadt sein!
Sei nicht kindisch!
Kindisch? Wir stehen vor Vaters Elternhaus wie die Deppen und eine Frau ruft aus dem ersten Stock, ich muss sie nicht reinlassen! In unser Haus!
Auf dem Weg zum Parkplatz war Herr Bühler mit ihnen zu Jakob Kleefelds Haus gegangen. Sie hatten kurz und wehmütig in den Hinterhof geschaut und daran gedacht, dass Louis Kleefeld einst als kleiner Junge dort gespielt hat.
Dann hatte Herr Bühler bei der Eigentümerin geklingelt und darum gebeten, ob sich die beiden Herren aus Frankfurt mal die Wohnung im ersten Stock ansehen könnten. Aber die Frau hatte sich geweigert.
Wir checken aus, sagte Alfred, als sie kurz vor dem Hotel waren.
Meschugge. Dann müssen wir die Nacht bezahlen.
Dann bezahlen wir sie eben.
Moritz schüttelte den Kopf.
Und wo willst du hin?
Weiterfahren. Wir werden unterwegs was finden. Zwei Einzelzimmer. Es ist erst vier Uhr.
Aber ich bin müde.
Und ich bin hellwach.
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24
Exakt vierundzwanzig Stunden später standen Moritz und Alfred Kleefeld auf dem mittelalterlichen Friedhof von Prag vor dem Grab des berühmten Rabbi Yehuda Löw. Vorher waren sie zwischen den Gräbern herumgestolpert und Moritz hatte dabei aus seinem alten, zerschlissenen Baedecker zitiert, den er seit Kindertagen durch die ganze Welt schleppte:
Der Friedhof stammt aus dem 15 . Jahrhundert und wurde bis zum Jahr 1750 genutzt. Aus Platzmangel wurden die Toten in mehreren Schichten übereinander bestattet, in bis zu 12 Lagen. Geschätzte 100 000 Menschen sind hier begraben. Noch heute entspricht der Friedhof nahezu seiner mittelalterlichen Größe. Über 12 000 Grabsteine finden sich hier dicht beieinander. Zahlreiche Grabmäler sind verziert mit Zeichen, die z.B. Familiennamen symbolisieren wie Löwen, Blumen, Trauben. Einige Grabsteine sind in der Umfriedung eingemauert, diese stammen von einem noch älteren Friedhof der Prager Neustadt.
Nun standen sie also schweigend, während hinter ihnen eine Gruppe amerikanischer Studenten mit backpacks und kippas laut redend und lachend vorbeitobte.
Als es wieder still geworden war, sagte Moritz: Nu?
Alfred nahm ein weißes Taschentuch aus seiner Jacke, entfaltete es und zum Vorschein kam der Wirbelknochen des Rabbi Löw! Alfred kniete sich auf das Grab, grub mit den Händen ein etwa zehn Zentimeter tiefes Loch und legte den Wirbelknochen hinein. Dann schüttete er das Loch wieder zu. Dazu sprach Moritz leise das Kaddischgebet.
Alfred fragte, als er sich mit dem Taschentuch den Schmutz von seiner Hose wischte und wieder neben ihm stand:
So, Moische, bist du jetzt glücklich?
Ich nicht, aber der Rabbi.
Als sie losgingen, berührte Moritz Alfreds Arm und sagte:
Danke.
Kurz vor dem Ausgang fanden sie sich im Pulk der amerikanischen Studenten wieder und plötzlich drehte sich einer um, bemerkte Alfred und rief:
Wow! I know who you are!
Er alarmierte seine Freunde und alle starrten Alfred an.
Freddy Clay!, rief er.
The guy who was Dracula in the movies!, sagte ein anderer.
What are you doing at this place?, fragte der nächste.
Alfred beugte sich mit eisigem Blick zu dem Studenten hinunter und knurrte im klassischen Dracula-Ton:
I live here!
Als sie am Abend über die Karlsbrücke geschlendert waren und durch die engen Gassen der Altstadt flanierten, Moritz hatte sich bei Alfred untergehakt, da wurde Alfred an seine Jugendzeit erinnert. Er war wieder der kleine Bruder, der sich vom großen Bruder die Welt erklären ließ.
Moritz dozierte über die Kaiser und Könige auf dem Hradschin, über Leo Perutz und die steinerne Brücke, kam über Hus und Havel zu dem jungen Mann, der sich auf dem Wenzelplatz verbrannt hatte, wie hieß er noch mal, ach ja, Jan Palach, bekam die Kurve zu Franz Kafka und von dort zu Heydrich. Jede Konversation, sagte er dann, egal ob Party, Familienfeier, Empfang oder Betriebsausflug, endet zwangsläufig beim Holocaust,
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