Herr Klee und Herr Feld | Roman
leserlich. Alfred und Moritz entdeckten die Gräber ihrer Urgroßeltern. Alfred fotografierte eifrig, Moritz wanderte mit Frau Rose umher. Am Ende standen sie vor dem imposanten Familiengrab der Kleefelds, wo lediglich zwei Namen eingraviert waren. Die leeren Flächen waren für all jene Familienmitglieder vorgesehen, die dann wider Erwarten nicht in Zirndorf in gesegnetem Alter eines friedlichen Todes gestorben waren. Auf einer schlichten Gedenktafel standen ihre Namen:
Gabriel Kleefeld, 84 Jahre, ermordet in Majdanek,
Henriette Kleefeld, 83 Jahre, ermordet in Majdanek,
Moses Kleefeld, 81 Jahre, ermordet in Treblinka,
Therese Kleefeld, 80 Jahre, ermordet in Sobibor,
Sigmund Kleefeld, 79 Jahre, ermordet in Auschwitz,
Klara Kleefeld, 75 Jahre, ermordet in Auschwitz,
Jakob Kleefeld, 78 Jahre, ermordet in Riga,
Caroline Kleefeld, 73 Jahre, ermordet in Riga,
Louis Kleefeld, 53 Jahre, ermordet in Theresienstadt,
Henri Kleefeld, 48 Jahre, ermordet in Buchenwald,
Sophie Kleefeld, 22 Jahre, ermordet in Stutthof,
Manfred Kleefeld, 12 Jahre, ermordet in Auschwitz,
Max Kleefeld, 10 Jahre, ermordet in Auschwitz,
Minna Kleefeld, 30 Jahre, ermordet in Auschwitz,
Ruth Kleefeld, 3 Jahre, ermordet in Auschwitz.
Alfred kam hinzu und machte Fotos.
Jakob und Caroline, sagte Moritz, unsere Großeltern.
Herr Bühler wartete wie vereinbart am Ausgang des Friedhofs. Der gemütliche Pensionär, ein ehemaliger Polizist, war so etwas wie der Stadtchronist und Leiter der Geschichtswerkstatt. Frau Rose und er schienen sich nicht sonderlich zu mögen, stellte Alfred aufgrund der flüchtigen Begrüßung fest.
Es ist mir eine große Freude, dass Sie zu uns nach Zirndorf gekommen sind, Professor Kleefeld, sagte der Mann und sah dann zu Alfred. Das gilt natürlich auch für Sie, Herr Kleefeld.
Die Brüder bedankten sich.
Unser Bürgermeister lässt es sich nicht nehmen, Sie beide zu einem kleinen Empfang ins Rathaus zu bitten.
Tja, dann werde ich ja nicht mehr gebraucht, sagte Frau Rose schnippisch.
Sie können gern mitkommen, Frau Rose, sagte Herr Bühler halbherzig.
Sie verabschiedete sich von den Kleefelds, die sich für den interessanten Vormittag und den Stammbaum bedankten, und Moritz gab der Frau seine Visitenkarte.
Da ist auch meine E-Mail-Adresse drauf, fügte er hinzu.
Danke, Professor, wir bleiben in Verbindung, sagte sie und ging davon.
Die Männer sahen ihr hinterher, wie sie die Straße überquerte und zu ihrem kleinen Fiat ging.
Eindrucksvolle Person, sagte Moritz.
Ja, meinte Herr Bühler, aber a wen’g schwierich.
Sie waren im Konvoi gefahren und parkten ihre Autos vor dem modernen Rathaus. Bevor sie das Haus betraten, führte sie Herr Bühler zur Straßenecke und zeigte zur anderen Seite.
Das da drüben, das Eckhaus, wo jetzt der Laden drin ist, das war das Haus ihrer Familie. Das Haus von Jakob Kleefeld.
Moritz und Alfred blieben einen Moment stehen und sahen auf das schmucke, dreistöckige Wohnhaus, dem man offensichtlich ein neues Dachgeschoss aufgesetzt hatte. Alfred zückte die Kamera.
Wir gehen am Nachmittag mal rüber, schlug Herr Bühler vor, vielleicht kommen wir rein.
Der Bürgermeister sei noch in einer Besprechung, ließ die Sekretärin mitteilen, die Herren mögen sich einen kleinen Moment gedulden. So standen Moritz, Alfred und Herr Bühler im Flur vor dem Amtszimmer herum und der Leiter der Geschichtswerkstatt erläuterte die Bildergalerie der Bürgermeister, die honorig von den Wänden auf die Besucher herabblickten.
Wir hatten auch mal einen jüdischen Bürgermeister, sagte Herr Bühler stolz, der Siegfried Levy. Das war vor 1914 .
Hat der hier unsere Familie auf dem Gewissen?, fragte Alfred, als er unter einem Porträt die Jahreszahlen 1934 bis 1943 las.
So kann man das nicht sagen, meinte Herr Bühler, er ist nach dem Krieg von den Amerikanern nur als Mitläufer eingestuft worden.
Na, dann ist ja alles in Butter, meinte Alfred sarkastisch.
Wie auf Stichwort kamen zwei junge Damen mit Tabletts, auf denen halbe belegte Brötchen lagen, grüßten scheu und trugen sie in einen Raum.
Es öffnete sich eine Tür und der Bürgermeister kam mit ausgebreiteten Armen auf die Brüder Kleefeld zu. Norbert Wieland war ein großer, sportlicher Mann von etwa fünfzig Jahren.
Grüß Gott, es ist mir eine große Freude, dass ich Sie hier in unserer Gemeinde begrüßen darf.
Mit beiden Händen schüttelte er Moritz die Hand.
Herr Professor, herzlich
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