Herr Klee und Herr Feld | Roman
willkommen.
Danke, sagte Moritz, mein Bruder Alfred.
Er zeigte auf ihn und auch ihm wurde die Hand geschüttelt.
Kommen Sie doch bitte.
Wieland machte eine joviale Geste und einen Moment später befanden sie sich im Gemeindesaal, wo etwa ein Dutzend Leute, darunter auch die örtliche Presse, und die Schnittchen warteten.
Immer wenn Redner ankündigten, dass sie nicht viele Worte machen würden, wurde es gefährlich. Man konnte sich auf endlose Vorträge einstellen und so war es auch diesmal. Der Bürgermeister schlug einen weiten Bogen vom Mittelalter bis zur Jetztzeit, lobte die geradezu symbiotische Verbindung der Zirndorfer mit ihren jüdischen Mitbürgern, die gegenseitige Toleranz, das problemlose Miteinander. Bis leider, leider diese dunkle Zeit kam, wo die Nazis die Macht übernahmen und wo den Juden großes Unrecht widerfuhr. Daran würde sich Zirndorf stets erinnern und das Andenken seiner ermordeten Mitbürger in Ehren halten.
Gerade deshalb ist es uns eine große Freude, schloss der Bürgermeister seine Rede, dass Sie, lieber, verehrter Professor Kleefeld, und Ihr Bruder zu uns gekommen sind und uns heute die Hand zur Versöhnung reichen. Vielen Dank.
Nachdem sich der Applaus gelegt hatte, ein paar Fotos gemacht waren, trat Moritz nach vorn.
Herr Bürgermeister, meine Damen und Herren, ich hatte nicht vorgehabt, hier etwas zu sagen, aber nun ist es mir ein Bedürfnis, einiges von dem, was ich soeben gehört habe, zu relativieren. Es war ja nicht so, dass die Nazis wie eine Heuschreckenplage über das Land kamen, sondern sie verkörperten den Geist des Volkes. Wir nennen sie Nazis, aber es waren Deutsche, Bayern, Franken, Zirndorfer. Ich war sechs Jahre alt, als ich unseren Vater Louis Kleefeld zum letzten Mal sah, und bin aus diesem Grund als Zeuge wenig glaubhaft, aber ich habe Briefe von ihm an unsere Mutter und einen Onkel in Australien, der uns erzählte, wie aus guten Nachbarn hämische Feinde wurden, wie besagter Onkel, Vaters Cousin Leopold Kleefeld, hier im sogenannten braunen Haus fast totgeschlagen wurde von seinen eigenen Kameraden aus dem Sportverein. Nicht nach der Pogromnacht im November 38 , sondern bereits 1934 ! Ich will Ihnen auch berichten, dass man unserem Großvater Jakob, der hier in der Stadt ein angesehener Mann, Mitglied des örtlichen Schützenvereins und ein Wohltäter war, lange vormachen konnte, dass er persönlich mit den Angriffen auf Juden nicht gemeint wäre und dass man ihn und seine Frau Caroline verschonen würde. Bis man sie schließlich in einen Güterwaggon stopfte, nach Riga verfrachtete, wo sie sofort erschossen wurden.
Was nun die Hand angeht, lieber Herr Wieland, die mein Bruder und ich zur Versöhnung reichen sollen, so müssen wir Sie enttäuschen. Wir müssen uns nicht versöhnen, denn wir haben keinen Konflikt miteinander. Sie persönlich haben keine Schuld, die heutigen Zirndorfer ebenso wenig. Sie beweisen uns, dass sie Verantwortung empfinden für das, was geschehen ist, das ist lobenswert. Aber wir können keine Absolution erteilen oder im Namen der toten Juden verzeihen, das könnten nur die Ermordeten selbst tun. Vielen Dank für diesen freundlichen Empfang.
Nach dem verhaltenen Applaus bekamen Alfred und Moritz als Gastgeschenk einen zünftigen Bierseidel mit dem Wappen der Stadt überreicht. Der wurde mit Bier gefüllt und dann trank man auf die Zukunft. Alfred griff beherzt zu einem Schinkenbrot und brachte seinem Bruder ein Käsebrötchen auf einem Pappteller. Der zögerte einen Moment, dann nahm er es und biss hinein.
Moritz stand gemeinsam mit Herrn Bühler und zwei adretten Zirndorfer Damen zusammen, die ihn mit Beschlag belegten und ihm von den zahlreichen kulturellen Besonderheiten des Ortes berichteten. So erfuhr er, dass die ehemalige Synagoge heute eine physiotherapeutische Praxis beherbergte, in deren Keller sich noch die mikwe befand. Alle Erinnerungen an die jüdischen Bürger seien im Museum untergebracht und Moritz sagte zu, dass er es anschließend besuchen würde. Währenddessen sprach Alfred den Bürgermeister an und fragte, wie denn die verworrenen Eigentumsverhältnisse nach dem Krieg geregelt worden waren. Soweit er sich erinnerte, war es seiner Mutter nicht gelungen, eine Entschädigung für das konfiszierte Vermögen des Jakob Kleefeld zu erhalten. Wieland nahm Alfred zur Seite.
Herr Kleefeld, das Problem ist, dass hier bei uns nach dem Krieg alle Akten von den einrückenden Amerikanern vernichtet wurden! Sie wollten
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