Herr Klingsor konnte ein bißchen zaubern.
Has Gute Nacht sagen. Kein Lehrer im ganzen Königreich Böhmen hätte sich freiwillig dorthin versetzen lassen. Doch Herrn Klingsor kam das gerade recht, er hatte es ja nicht anders gewollt.
Noch am gleichen Nachmittag suchte er den Herrn Oberlehrer König in dessen Kanzlei auf und legte ihm das Schreiben der kaiserlich-königlichen Landesschulinspektion auf den Schreibtisch.
Der Herr Oberlehrer König traute seinen Augen nicht, als er das Schreiben studierte. Er las es ein Mal, er las es zwei Mal - dann sagte er kopfschüttelnd: »Schade, schade, Herr Kollege Klingsor! Hat es Ihnen denn nicht gefallen bei uns in Reichenberg? Ich hätte Sie wirklich gern an der Rudolfschule behalten, wissen Sie.«
»Gefallen?«, meinte Herr Klingsor mit einem Achselzucken. »Gefallen hat es mir schon in Reichenberg. Sehr sogar. Aber ich habe persönliche Gründe für meine Versetzung, Herr Oberlehrer -das bitte ich zu verstehen.«
Welcher Art seine Gründe waren, darüber schwieg sich Herr Klingsor aus.
Auch im Gespräch mit den anderen Lehrerinnen und Lehrern erwähnte er keine Silbe davon. Es tat ihnen allen Leid, dass Herr Klingsor von ihnen wegging, noch dazu dort hinauf ins Gebirge.
»Ist Ihnen überhaupt klar, Herr Kollege, wohin Sie da kommen?«, warnte ihn der Herr Lehrer Effenberger. »Da kommen Sie in die tiefste Wildnis!«
Und das Fräulein Kilian, ahnungslos wie sie nun einmal war, das schöne Fräulein Ernestine Kilian meinte bedauernd: »Wie schade, Herr Klingsor. Nun werden Sie ja bei unserer Hochzeit gar nicht dabei sein können.«
»Das befürchte ich leider auch, Fräulein Kilian«, sagte Herr Klingsor. »Aber ich krieg doch auf jeden Fall eine Anzeige, ja?«
Er wollte ihr wenigstens ein paar Blumen zur Hochzeit schicken, der künftigen Frau Fachlehrer Teubner. Studentennelken natürlich - was für Blumen denn sonst?
Seinen Schulkindern gegenüber erwähnte Herr Klingsor vorläufig lieber noch nichts von seiner Versetzung. Sie würden es früh genug erfahren. Einstweilen tat er, als sei überhaupt nichts geschehen. Und das war wohl das Beste, was er mit Rücksicht auf die Kinder tun konnte.
Wollen wir singen, Kinder?
Der erste Schnee fiel, in den Auslagen der Geschäfte waren die ersten Tannenzweige zu sehen, die ersten Weihnachtskerzen, die ersten Lebkuchen. Auch in der Rudolfschule begann es zu Weihnachten, alle Tage ein wenig mehr.
Am ersten Schultag nach den Sommerferien hatte Herr Klingsor die dritte Klasse zum ersten Mal betreten; am letzten Schultag vor den Weihnachtsferien sollte er sie für immer verlassen. Er hatte ein bisschen Sorge davor - und plötzlich war dann der Tag gekommen.
Die Kinder ahnten ja glücklicherweise noch nichts, die freuten sich auf das Christkind und auf die Feiertage. Bloß dem Herrn Lehrer Klingsor, dem war es heute ausnehmend schwer ums Herz.
Wie sollte er es den Kindern beibringen, dass er aus Reichenberg wegging?
Sie alle, die Hilde Bienert, der Herbert Löwit, die Dreithaler-Zwillinge, Knoblochs Paulchen, das blasse Mariechen Kleinwächter, Hampels Hugo und Bergmanns Eva: Sie alle, wie sie auch hießen, waren ihm sehr ans Herz gewachsen. Wie sehr, das merkte er eigentlich jetzt erst.
Wie damals, an ihrem ersten gemeinsamen Schultag, holte Herr Klingsor auch heute wieder die Geige hervor und setzte den Bogen an.
»Wollen wir miteinander singen, Kinder?«
Nun sangen sie alle Weihnachtslieder, die sich die Kinder wünschten, eins nach dem andern. Herr Klingsor spielte dazu auf der Geige. Und er spielte so schön, dass die Kinder es nie mehr vergessen konnten. Noch als Großmütter, noch als Großväter haben sie ihren Enkelkindern manchmal davon erzählt, wie schön der Herr Klingsor damals gespielt hat auf seiner Geige.
Und noch etwas haben sie nicht vergessen, die Kinder aus der dritten Klasse!
Ganz zuletzt, nachdem sie schon alle Weihnachtslieder gesungen hatten, die letzte Schulstunde vor den Ferien ging allmählich zu Ende:
Ganz zuletzt hat sich das Mariechen Kleinwächter noch gemeldet, das stille blasse Mariechen.
»Ja, was gibt's denn, Mariechen?«, hat der Herr Klingsor gefragt.
»Ich hätte noch eine Bitte, Herr Lehrer«, hat das Mariechen mit leiser Stimme geantwortet und es ist über und über rot geworden dabei. »Könnten wir nicht das Lied singen, das ich von allen Weihnachtsliedern am liebsten mag? Es heißt >Freu dich, Erd und Sternenzelt< - aber ich weiß nicht, ob Sie es überhaupt kennen ...«
Wie hätte es der Herr Klingsor nicht
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