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Herr Merse bricht auf

Herr Merse bricht auf

Titel: Herr Merse bricht auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Nohr
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offenbar für die Muscheln. » Machst du das extra so? Um denen im Labyrinth Tipps zu geben, oder um sie zu verwirren?« Der Junge sagte eine Weile nichts. ( » Blöde Frage! Er hat doch gesagt, das mit dem Verlaufen interessiert ihn nicht!«) Als Herr Merse schon weitergehen wollte, zuckte der Junge die Achseln: » Nee, einfach so.« Seine Schulterblätter waren stark gerötet. » Willst du dich nicht eincremen?«, fragte Herr Merse. » Du kriegst sonst einen Sonnenbrand. Bei dem Wind merkt man die Sonne nicht so. Und heute Abend geht’s dir dann schlecht.«
    Der Junge gab keine Antwort. » Wo ist denn euer Strandkorb?«, fragte Herr Merse und schaute ihn unschlüssig an. Sollte er das jetzt vorantreiben mit dem Jungen? Das Badeverbot bei Ebbe ansprechen? Der Junge zeigte unbestimmt Richtung Kliff. » Da hinten!« » Welche Nummer?« »1051. « » Aha. Na, ich sag mal deiner Mutter Bescheid wegen der Creme, was meinst du?«, fügte Herr Merse nach einer kleinen Weile hinzu. Der Junge hatte mit der Muschelverzierung begonnen. » Die ist nicht da«, sagte er prompt, ohne aufzusehen. » Oh. Ach so. Kommt sie später zum Strand?« » Sie ist weggefahren. Meine Schwester ist da.« » Na, dann sag ich der mal Bescheid. Tschüs, Joel.« Der Junge sah schnell zu ihm hinüber, als er seinen Namen hörte, und wandte sich dann wieder dem Labyrinth zu.
    1051 . Auf seinem Weg zur Süßwasserdusche suchte Herr Merse auf den Strandkorbrücken nach der richtigen Ziffer. Da. Er sah Natascha im Bikini mit ihren unvermeidlichen Stöpseln im Ohr auf einem großen blauen Handtuch vor dem Strandkorb in der Sonne liegen. Der Strandkorb guckte in eine andere Richtung als alle anderen. Wahrscheinlich konnten die Kinder ihn nicht von der Stelle bewegen, dachte er. Weggefahren. Er betrachtete Strandkorb, blaues Handtuch und Mädchen. Natascha, die Schwester von Joel. Sie war nicht ganz so schlank wie ihre Mutter. Etwas gedrungener. Kraftvoll. Wie eine Rhönrad-Sportlerin, dachte er. Denn sie hatte sowohl muskulöse Arme als auch Beine, und vor Herrn Merses innerem Auge rollte sie aus eigener Kraft, ausgestreckt wie Leonardo da Vincis Goldener-Schnitt-Mensch, in ihrem Rhönrad durch eine Turnhalle. Sollte er sie ansprechen? Sich einmischen?
    Weggefahren– wohin? Nach Westerland zum Einkaufen? »Weggefahren« klang wie »abgereist«. Sonst hätte der Junge » Sie ist einkaufen gefahren« gesagt. Außerdem– wer fuhr schon nach Westerland zum Einkaufen? Hinten in Wenningstedt war ein Supermarkt, sogar nahe am Strand noch ein Edeka-Laden– da konnte man doch alles holen. Wenn sie aber weg-, das heißt abgefahren war, dann musste er jetzt einschreiten, denn diese zugestöpselte Schwester würde nach seiner Einschätzung nicht im Traum daran denken, ihren kleinen Bruder einzucremen.
    Er trat auf den Henkel eines Spieleimers. Barbara allerdings hätte das früher für ihren Ingo-Bruder getan, dachte er. Aber sie war auch nur zwei Jahre älter als er. Joel und Natascha waren viel weiter auseinander. Barbara hatte nach Herzenslust an ihm herumerzogen. Er war ihr bestes Spielzeug gewesen. Wenn sie auf Krawall gebürstet war, dann bekam Ingo alles ab. Nachdem sie eingeschult worden war, hatte sie ihn nachmittags mit Schulespielen malträtiert. Er musste als Schüler Buchstaben in kleine Hefte schreiben, die sie für ihn bastelte. Die gelungenen Lettern hatte sie als Lehrerin rot, alle anderen schwarz umkringelt. Sie behauptete, wenn die Schüler mehr schwarze als rote Buchstaben hätten, würde die Lehrerin in der Schule sie mit einem Lineal auf den Po hauen. Die Schüler müssten sich so– sie hatte es ihm genau vorgemacht– über ein Pult legen, und dann komme die Lehrerin und haue. Wer weinte, wurde danach in die Ecke geschickt. » Und das wollen wir hier auch tun. Dann bist du gut vorbereitet.« Herr Merse als kleinerer, aber zäher Bruder hatte sich zwar oft erfolgreich gewehrt, aber mit Versprechungen– » Ich tu ja nur so, ich hau nicht richtig!«– und Verheißungen kriegte sie ihn doch meist herum. Verheißungsvoll war ihr Versprechen » Du kannst dann Häsli kriegen«. Bärli und Häsli waren zwei fellige Handpuppen. Barbara hatte Häsli zum Schulbeginn und er Bärli zum Trost bekommen, weil er noch zu Hause bleiben musste. Er hatte die Fellpuppen über alles geliebt, ihren Hasen aber mehr als seinen Bären. Der Hase guckte still und klug. Der Bär lieb und dümmlich. Wenn er beide hatte, war Ingo glücklich. Barbara wusste das und

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