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Herr Merse bricht auf

Herr Merse bricht auf

Titel: Herr Merse bricht auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Nohr
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nahm Häsli immer mit in die Schule, damit er ihn vermisste. Für Häsli hatte er sich über den Stuhl gelegt, der das Pult darstellte, und versucht Barbaras Schläge abzuwettern. Dabei hatte er ausprobiert, was weniger schmerzte: wenn er die Pobacken anspannte und sich hart, oder wenn er sie entspannte und sich weich machte, was aber schwerer war wegen der Angst, die er vor den Schlägen hatte. Barbara hatte ein eckiges Lineal benutzt. Er fand nie heraus, was weniger schmerzte, da er sich stets angstvoll anspannte; es tat immer gleich weh, und alles endete in Gebrüll und Kampf. Er schrie und trat nach Barbara, sie wehrte sich, beide schlugen um sich, bis die Mutter kam oder bis einer » Mal« keuchte und mit hochgestreckten Zeige- und Mittelfingern das Kreuzzeichen machte. Nie hatte er Häsli bekommen, nie, da er ja nicht geduldig alles über sich ergehen ließ, wie ihm Barbara hinterher wieder im Lehrerinnenton klarmachte.
    Herr Merse stapfte durch den Sand. Ja, Barbara hätte ihn eingecremt und daraus ein Spiel gemacht. » Du bist jetzt der Gefangene, und die Kannibalen wollen dich fressen. Dafür müssen sie dich vorher rösten und vor dem Rösten einölen, und das tun sie jetzt.« » Mhm, lecker, lecker«, hätte sie gemurmelt und wäre vielleicht mit der Zungenspitze über noch nicht eingeölte Partien seiner Haut geglitten, und er hätte alles genossen… So hatten sie auch oft die Hexe aus Hänsel und Gretel gespielt; er musste essen, und sie testete dann, ob er » weich und fett« war, überall testete sie, immer mit den Worten » lecker, lecker«…
    Herr Merse blieb neben dem Strandkorb stehen. » Natascha«, rief er leise. Gegen seine Erwartung reagierte sie sofort, zog die Stöpsel aus den Ohren und richtete sich auf. Herr Merse trat noch einen Schritt auf sie zu. » Hallo. Kennst du mich noch? Der vom Zug. Ich bin eben an deinem kleinen Bruder vorbeigekommen und hab gesehen, dass er jetzt schon ganz rote Schultern hat von der Sonne. Da dachte ich, es wäre vielleicht besser, wenn man… äh du… also wenn man ihn eincremen würde… Weil… es sieht so aus, dass er noch ein ziemliches Bauvorhaben da zu erledigen hat … «( » Na ja. Bauvorhaben.«) » Ach so, ja«, sagte Natascha. Sie wirkte wie aus dem Schlaf geholt, griff zu der Sonnencreme, die neben ihr auf dem Handtuch lag, und hielt sie Herrn Merse hin. Die Flasche war ölig und ringsum mit Sand paniert. » Ja …«, Herr Merse zögerte und ergriff dann die Flasche mit spitzen Fingern. » Willst du ihn nicht eincremen?«, fragte er und kam sich hölzern vor, wie er da stand, die sandige Flasche in der Hand. » Nöö, von mir lässt er sich nicht anfassen«, sagte Natascha.
    » Wo ist denn eure Mutter?«, setzte Herr Merse nach. Er ließ sich doch nicht so schafartig von dem Mädchen einspannen. Selbstbezogene arrogante Pute, dachte er in plötzlicher Wut. Jetzt spannte er sie mal für sich ein. Er musste herauskriegen, was mit der Mutter war. Wie sie wohl hieß? » Weggefahren«, sagte Natascha. Diese Einsilbigkeit! Er kümmerte sich hier um sie, und sie ließ ihn so abblitzen! Affig. Was tat er hier überhaupt. Trotzdem fragte er weiter in Freundlicher-Onkel-Manier: » Und seid ihr hier jetzt ganz allein?«
    Natascha antwortete gar nicht. Sie guckte zu den Rettungsschwimmern, die neben einem DLRG -Boot saßen und rauchten. Ihre braunen muskulösen Oberkörper glänzten. Herr Merse legte das Sonnenöl zurück in ihre Nähe. » Mach du das man, oder bring es ihm, er wird es schon selbst hinkriegen.« Damit drehte er sich um und ging entschlossen weg, so entschlossen, wie er im Sand gehen konnte.
    Wütend erreichte er die Dusche. Es prasselte warm auf ihn herab. Der schwarz-gelbe Wasserschlauch schlängelte sich salamanderhaft das Kliff hinauf; das Wasser war angewärmt. Er genoss die Weichheit des Süßwassers. Wie Juniregen, dachte er und drückte wieder und wieder auf den Edelstahlknopf. Bis das kalte Wasser kam. Er trocknete sich ab und ging, Strandkörbe und Badegäste umwandernd, auf die 1423 zu, zog sich ein weißes T- Shirt und weiße lange Hosen über; die übrigen Stellen seines Körpers cremte er ein und drehte den Korb, so dass er ihm Halbschatten bot. Die Öffnung zeigte nun Richtung Labyrinth.
    Gedanken wogten in ihm hin und her. Sollte oder sollte er sich nicht einmischen?
    Gottverdammte pubertäre Einsilbigkeit. Was ging es ihn an. Aber sie hatte ihm einen Auftrag gegeben. Sie, die schlanke Mutter. Die jetzt weggefahren war. Die

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