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Herr Merse bricht auf

Herr Merse bricht auf

Titel: Herr Merse bricht auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Nohr
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Herr Merse nach. Wieder staunte er glücklich, dass sie auf seine Frage reagierte, erzählte und erzählte.
    Karl habe sich auf das zweite Kind gefreut. » Aber als Joel da war, konnte er mit ihm nichts anfangen«, sagte Frau Luner. » Von Anfang an nicht. Ihm war nur wichtig, dass Natascha nicht unter der Entthronung, wie er es nannte, litt. Er war wohl selbst entthront worden als Kind.« Herr Merse hing überrascht diesem Ausdruck nach. Ob sich Barbara durch ihn entthront gefühlt hatte? War das möglich? Ach, Barbara, die hatte hier jetzt nichts zu suchen. Er riss sich zurück. » Meine Tochter nahm er mir, mit dem Sohn ließ er mich allein, und als Partner verschwand er. Und ich ließ es zu, weil ich nicht wusste, wie ich ihn erreichen konnte.« Genau, dachte Herr Merse. Nicht erreichen. Da konnte man fragen, was und wie oft und wie viel man wollte. Er runzelte die Stirn. » In dieser Situation hat mir eine ältere Chorsängerin geholfen. Ich hab ihr einfach mein Herz ausgeschüttet. Wie jetzt Ihnen.«
    Frau Luner klang etwas erschrocken und machte eine kurze Pause. Zwei Kinder stritten sich vor dem Strandkorb um einen Gummidelfin. Herr Merse war in Sorge, dass das Frau Luner aus der Erzählstimmung herausbringen würde, aber sie war nun schon so im Fluss, dass er nicht einmal mehr nachfragen musste. » Ich bin dann in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit Natascha und Joel zu der Chorsängerin umgezogen. Ich hatte Angst, dass Karl Natascha entführt.« Herr Merse stellte sich einen Elefanten vor leerem Nest vor. ( » Nest!«) Nach quälenden gerichtlichen Auseinandersetzungen habe Frau Luner das Sorgerecht zugesprochen bekommen; Natascha habe ihren Vater alle zwei Wochen besucht. » Aber wenn Joel mitsollte, sperrte er sich. Schrie und schlug sogar mit dem Kopf an die Wand.« Frau Luners Stimme klang gepresst. Herr Merse erschrak. Dass der Junge so heftig sein konnte! » … bis Karl eine Freundin hatte. Dann wollte Natascha nicht mehr zu ihm hin; da war sie vierzehn. Karl zahlte, aber er ließ sie fallen. Erst mich, dann sie. Ich glaube, er war ein Duettist.« » Duettist?« »Ich meine einer, der immer nur zu zweit leben kann«, sagte Frau Luner mit vorsichtiger Stimme.
    Nach einem Moment fuhr sie fort: Bei ihrem Auszug sei sie einunddreißig gewesen und habe Arbeit bei Gottschalk und Reese gefunden. » Da habe ich mich dann eingewurzelt«, sagte sie, drehte sich zu ihm und lächelte ihn zum ersten Mal an. Herr Merse lächelte zurück. Herr Gottschalk, der Chef, ein älterer, stiller Mann, mit Noten und Verlagen » wie verheiratet«, schätzte ihre Mitarbeit und bald auch sie als Person. » Das merkt man ja. Er mochte mich.« Herr Merse schluckte. Aber es sei nur ein » Schwebezustand« gewesen. Seine Frau arbeitete ja auch in dem Laden. An der Kasse. »Er würdigte mich«, sagte sie einfach. Herrn Merse kam es selbstverständlich vor, dass Frau Luner gewürdigt wurde, aber offenbar war es etwas Besonderes für sie. Er wollte nachfragen, aber sie auch nicht unterbrechen: » Er arrangierte es, dass ich mitkam auf Messen. Die Kinder blieben viel allein«, sagte sie mit leiser Stimme. » Es war nicht, wie Sie vielleicht denken«, sagte sie, und Herr Merse erschrak. Was dachte er denn? Was meinte sie, dass er dachte? » Wir errieten uns gegenseitig. Ganz langsam. Es war schön. Aber natürlich war er mein Chef. Fast wie ein Vater.« Verwirrt verschob es Herr Merse auf später zu ergründen, was in dem » fast« steckte. » Es war ein besonderes Verhältnis«, sagte Frau Luner wie abschließend. » Seit zehn Jahren bin ich da.«
    Herr Merse errechnete fieberhaft, dass sie dann, wie er, einundvierzig Jahre alt sein musste. » Und nun die drohende Insolvenz.« Sie habe dem Chef angeboten zu kündigen, aber er wolle sie halten. Es sei über die Geschäftsführung zum Streit mit seiner Frau gekommen. » Er hat mir davon aber nur in Andeutungen erzählt. Ich glaube, er wollte mich nicht belasten.« Und nun die SMS . » Ich dachte, er stirbt«, sagte Frau Luner leise. » Deswegen musste ich fahren, verstehen Sie?« » Ja«, antwortete er, » ich glaube, ja.«
    Sie schwiegen.
    » Was ist nun?«, fragte Herr Merse unbeholfen. Frau Luner zuckte die Achseln. » Er wird uns kündigen müssen, sagt der Insolvenzverwalter. Ein Italiener kauft alles auf und integriert den Laden in einen größeren Konzern.« Ihr Chef habe ihr bei ihrem Besuch am Krankenbett von dem Angebot des Italieners erzählt, sie als Einzige zu übernehmen. Er

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