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Herr Merse bricht auf

Herr Merse bricht auf

Titel: Herr Merse bricht auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Nohr
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habe sie gedrängt, das Angebot anzunehmen. Aber er selbst werde nicht mehr da sein, sondern sich mit seiner Frau in sein Häuschen auf dem Lande zurückziehen. » Er ist gebrochen«, sagte Frau Luner. » Alles ist zerbrochen.«
    Herr Merse spürte, dass jetzt Schluss war. Auch wenn für ihn vieles, viel zu vieles offenblieb. Sie entschuldigte sich nachdrücklich und abschließend bei ihm, dass sie seine Aufmerksamkeit so lange beansprucht habe. Sie sei einfach » so voll« von allem gewesen. Und habe ein schlechtes Gewissen den Kindern gegenüber. Natascha, weil sie wieder mal auf ihren kleinen Bruder aufpassen musste, und Joel gegenüber » sowieso«. » Wissen Sie, Joel ist sehr schwierig. Er redet eigentlich kaum. Dass er sich Ihnen so angeschlossen hat, ist ganz ungewöhnlich. Sie sind ein ungewöhnlicher Mensch, das merke ich, daher habe ich hier im Strandkorb meine Schleusen geöffnet!«, sagte sie halb lachend. Aber sie zitterte.
    Herr Merse hätte ihr gern seine Hand auf den Arm gelegt. Nur ganz kurz. Aber er traute sich nicht. In ihm begann auch etwas zu zittern. Er stand auf. » Wollen wir zu Joel gehen?«, fragte er.
    In dem Moment kam der Junge auf den Strandkorb zu. Sein sandiges T-Shirt flatterte im Wind um seinen schmächtigen Körper. » Wollt ihr mal gucken?«, fragte er. Herr Merse bemühte sich, nicht zu strahlend zu lächeln.
    Joel ging voraus. Alle drei hockten sich an den Rand des fertigen Heckenlabyrinths. Badegäste schlenderten vorüber, einige schauten halb gelangweilt auf das Kunstwerk. In der Mitte des Labyrinths stand auf einem kleinen Sandpodest ein Ungeheuer aus Treibholz. Joel hatte einzelne lange Tanglianen unter seinem Hals verknotet, die Enden flatterten als Mähne im Wind. » Der Minotaurus«, sagte er und guckte Herrn Merse an. » Wow«, sagte Herr Merse anerkennend. » Und was ist das?« Er zeigte auf unterschiedlich große, längliche Steine, die um das Podest herumlagen. » Tote Jungfrauen«, sagte Joel. Frau Luner schaute verwirrt vom einen zum anderen. » Dann können wir ja loslegen mit dem Spielen«, sagte Herr Merse entschlossen. » Hast du auch Theseus, Ariadne und den Faden?« Joel nickte und deutete auf einen langen schwarzen und einen geschwungenen rötlichen Stein. Aus seiner Shorttasche zog er einen Turnschuhschnürsenkel hervor und reichte ihn Herrn Merse. Offenbar sollte er die Sache in die Hand nehmen. Er gab sich einen kleinen Ruck. » Wen spielst du?«, fragte er Joel. Der zögerte. Dann zeigte er auf den Minotaurus. » Ok«, sagte Herr Merse. » Dann spiele ich die anderen.«
    Er sah, dass Frau Luner ihn unsicher ansah. Er lächelte sie an. Sie lächelte zurück und wandte sich dann Richtung Strandkorb. Joel hielt sie nicht auf. Besser so, dachte Herr Merse. Ist was für Männer. Sie besprachen Theseus’ Angriff auf den Minotaurus. Joel schlug vor, dass Dädalus ihm hierfür ein besonderes Schwert anfertigte. Daraufhin musste erst einmal eine Bleibe für Dädalus mit angrenzender Schmiede aufgebaut werden. Als Herr Merse merkte, dass Joel sich in diese architektonische Aufgabe vertiefte, atmete er tief aus und schaute sich um. Frau Luner saß neben Natascha im Strandkorb. Natascha las, Frau Luner lag etwas zurückgelehnt mit geschlossenen Augen in der Sonne. Joel war seinem Blick gefolgt. » Sie muss aufpassen und sich eincremen«, sagte er. Herr Merse stimmte zu.
    Sie bauten und spielten. Herr Merse vergaß die Zeit. Etwas Altes lebte in ihm auf. Er dachte an Dagmars Traum mit den Klopfzeichen. » Ich höre Klopfzeichen«, sagte er zu Joel. » Ich auch«, sagte Joel mit verstellter Stimme als Minotaurus. Sie änderten alles ab. Theseus und der Minotaurus freundeten sich an. Sie ritten mit Dädalus’ Schwert, das Herr Merse einfach nach Siegfrieds Nothung nannte, in die Gegend, aus der die Klopfzeichen kamen. Sie wurden von Tieren erzeugt, die in eine unterirdische, tiefe Sandkammer eingeschlossen waren und mit Kopf und Füßen rhythmisch gegen Wände und Decke klopften. Alle drei Tiere waren ebensolche Zwitterwesen wie der Minotaurus: halb Pferd, halb Mensch; halb Katze, halb Mensch; halb Maus, halb Mensch. Joel benutzte seine Jungfrauensteine nun hierfür. Die Steintiere erzählten dem Minotaurus per Klopfmorse, dass sie verzaubert seien, und Theseus auf dem Minotaurus befreite sie, indem er mit Nothung die Türen aufhaute. Alle beschlossen, für die Zauberer ein so ausgeklügeltes Labyrinth zu bauen, dass sie nie wieder daraus entkämen. » Das mache ich

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