Herr Merse bricht auf
steckte er dann aber trotzdem noch ein. Zur Sicherheit.
* * *
In der 1423 lag ein Zettel. » Um acht in der Pizzeria Ecke Glockenblumenstraße? Wär schön. Würden uns freuen. A. Luner.«
A. Luner. Das war ja nicht möglich. Anemone Luner! Er lachte auf. Nein, sicher Anna oder Annegret oder Astrid. » Ach, Anemone!« Herr Merse schaute auf die Uhr. Schon halb neun. Er stopfte die Strandtasche in die Schublade, beglückwünschte sich, dass er ein Vorhängeschloss mitgebracht hatte, schloss ab und lief Richtung Ort. Die Fragen vielleicht hinterher, dachte er. Wenn die Kinder im Bett sind. Wenn Joel im Bett ist. Mit fliegendem Atem betrat er die Pizzeria, die er von der Skatrunde schon kannte.
Luners hatten gerade ihre Pizzen bekommen. Herr Merse entschuldigte sich haspelnd mehrmals, dass er erst jetzt komme, und Frau Luner freute sich ebenso wortreich, dass er doch noch gekommen sei: » Ich dachte schon, der Wind hätte den Zettel verweht!« Sie äußerte Sorge, dass er nun auf sein Gericht noch warten müsse, und Unsicherheit, ob sie ihrerseits schon mit dem Essen beginnen sollten, aber man könne die Pizzen andererseits schlecht zurückgehen lassen… Natascha beendete ungeduldig diesen Austausch umständlicher Höflichkeiten. Kalte Pizza schmecke nicht, und Zettel seien vorsintflutlich, alles wäre einfacher gewesen, wenn man seine Handynummer gehabt hätte.
Herr Merse fühlte sich überfordert: Glücklich, dass so viel Aufhebens um ihn gemacht wurde, verwirrt, da er nie seine Handynummer auswendig wusste, dazu so aufgeregt, dass er ohne nachzudenken Spaghetti bestellte, dann aber hinter dem Kellner herlief und die Bestellung abänderte, weil er realisierte, dass er dann als Einziger Spaghetti essen und dabei von sechs Augen betrachtet werden würde. ( » Ach, wie spritzen die Spaghetti, Ingo unser Tragoletti.«) Er bestellte Risotto, verspürte aber keinerlei Appetit und aß, ohne etwas zu schmecken.
Es erleichterte ihn, als Joel, der die ganze Zeit geschwiegen hatte, ein Skatspiel vorschlug. Herr Merse sollte nur die Oberaufsicht haben, während Natascha und Joel Frau Luner dieses Spiel in seinen Grundzügen beibrachten. Frau Luner tat sich schwer, Herr Merse spürte, dass sie nur Joel zuliebe eingewilligt hatte. Er entschuldigte ihre Fehler bei Natascha, es sei ein schweres Spiel. Als er mit dem Reis fertig war, spielte er eine Runde mit den beiden Kindern, und Frau Luner schaute zu und trank einen Espresso. Entspannung trat ein. Herr Merse sah den Espresso als gutes Zeichen, dass der Abend noch nicht bald beendet sein würde, und bestellte voller Hoffnung auch einen.
Natascha stand auf und sagte, sie sei noch mit Andy verabredet. Bestimmt einer der Rettungsschwimmer, dachte Herr Merse. Frau Luner lächelte und wünschte ihr viel Spaß. Sie wirkte wie eine Freundin ihrer großen Tochter. Joel sackte in sich zusammen. » Den ganzen Tag Sonne und Wind– er muss ins Bett«, sagte Frau Luner. Sie bezahlte für Herrn Merse mit, da half sein Protestieren nicht, » als Dankeschön!«, und sie wandten sich zum Gehen. Herr Merse wusste, er musste jetzt etwas sagen. Jetzt. Innerlich rief er sich Johannes auf, aber der war ja noch schüchterner als er. Ulrich. Wie würde der es machen? Ulrich, der mit hohen Leuten aus dem Kriegsministerium locker parlierte. Herr Merse fiel draußen etwas hinter Frau Luner zurück, die ihren Arm um Joel legte ( » dackelst wieder hinterher«). Ja. Er streckte innerlich der Stimme die Zunge heraus. Mit Hinterherdackeln schaffe ich nämlich Abstand, Dagmar. Der mir Raum zum Denken gewinnt, und den brauche ich. So. Frau Luner drehte sich zu ihm um. » Ein schöner Abend, nicht?«, sagte sie und schien mit ihrem froh-vagen Blick durch ihn hindurch auf das Leben selbst zu schauen. » Ja«, stimmte er innig zu. Zu innig? Ach, Ingo Merse! Es war doch so einfach!
Er sagte: » Wollen wir nicht noch ein bisschen in meinem Strandkorb sitzen? Ich habe Decken und Rotwein und Käse da.« Frau Luner nickte. Als ob sie auf so einen Vorschlag gewartet hätte. » Ich komme, wenn Joel schläft.« Joel schlief fast im Stehen, aber fragte schnell mit kleiner Stimme: » Kann ich nicht in einem Schlafsack bei euch so neben der Lok liegen?« Frau Luner zögerte, Herr Merse auch. Der Wunsch rührte ihn, ihm schossen Tränen in die Augen. Er erschrak, als er sah, dass Frau Luner seine Bewegtheit wahrgenommen hatte. Sie sagte liebevoll zu Joel: » Morgen. Wir müssen erst einen Schlafsack besorgen. Und dies
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