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Herr Merse bricht auf

Herr Merse bricht auf

Titel: Herr Merse bricht auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Nohr
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Von Barbara dann den genervten Augenaufschlag und das wahnsinnige Psssssst und ihre hektischen Zeichen auf den schlafenden und wahrscheinlich schnarchenden Oskar hin, der sich dann umdrehen und ein Auge auf ihn richten würde. Der schlaggefällte Richter-Gemahl, dachte er voller Hass. Wie ein Zyklop…
    Nicht abdriften. Einen Tag hatte er noch Zeit. Er lehnte sich zurück und versuchte sich an den Fühleindruck von Annemaries Hand auf seinem Arm zu erinnern. » Sie hat mich getröstet, Johannes«, sagte er ins Zimmerdunkel hinein. Er spürte die Berührung wieder und wurde ruhiger. » Schön für dich«, brummelte Johannes aus seinem noch nicht vorhandenen Bart. Herr Merse hörte vor dem inneren Ohr: » Selig sind die da Leid tragen– denn sie sollen getröstet werden«. » Das hast du wunderbar komponiert«, sagte er zu dem Freund. Es war ihm egal, dass der das Requiem in einem ganz anderen Lebensalter geschrieben hatte. Er wollte ihm danken. » Denn sie sollen getröstet werden.« In der Ewigkeit. Das war ihm zu spät! » Johannes, man braucht es jetzt! Nicht später! Hier auf Erden, im Sommer! Wenn das in deinem Leben passiert, dass eine Frau dir die Hand auf den Arm legt, dich tröstet, das ist… das ist… ja, man kann es gar nicht ausdrücken.« » Nur mit Musik.« » Ja.«
    Herr Merse schwieg einen Moment. Dann erzählte er Johannes von der Quartiernotlage. Und war überrascht, dass der von ihm als unpraktisch eingestufte Komponistenfreund als Ultima Ratio den Zeltplatz vorschlug. » Aber ich hab kein Zelt!« » Dann kaufst du dir eben eines.« » Aufm Zeltplatz kann ich nicht Horn üben.« » Du hast sowieso nicht so viel geübt. Was ist jetzt wichtiger– Frau oder Horn? Üben oder Frau Luna?« Johannes sagte hartnäckig »Luna«. » Du kannst eine Woche früher abreisen und dann in Hamburg üben. In deiner Wurstbude. Da störst du keinen Menschen.«
    Herrn Merse kam dieser vernünftige Vorschlag völlig in die Quere. Er merkte daran, wie weit er sich schon vorangewagt hatte. Weit weg von Hamburg. Ab nach Berlin. In Berlin gab es viele Orchester. Gute Hornisten braucht man überall. Joel wollte Horn lernen. Er würde weitere Schüler finden. » Und wenn ich nach Berlin gehe? Schon um Joel zu unterrichten? Nicht mehr nach Hamburg zurück?« » Wollte der Junge das Horn nicht einfach nur sehen?«, kam es aus Johannes’ Ecke. » Joel mag mich. Er wird es lernen wollen. Ich spiel ihm das Siegfried-Motiv vor.« Er hatte sich nicht vorgenommen, Johannes eins auszuwischen, aber dass er ihm jetzt ausgerechnet mit dem Hauptkonkurrenten Wagner kam, war Rache für den Wurstbudenvorschlag. Johannes schluckte es unkommentiert. Er schwieg. Herrn Merses neue Wege begannen sich unter dem Eindruck von Johannes’ Nüchternheit zu verschlingen und zu verheddern. Hauptweg– Nebenweg– Ausweg– Umweg– Sackgasse…
    » Und woher hat sie nun die Narbe? Wie war der Unfall? Was ist mit dem Lampenfieber?« Die drei Fragen kamen unerwartet von dem imaginären Flügel her, den Herr Merse innerlich immer da platzierte, wo in Wirklichkeit ein großer Fernseher stand. Ihm brach der Schweiß aus. » Wir sind nicht zu den Fragen gekommen! Aber Karl ist der Vater. Nicht der Student.« Er setzte sich. Die Tablette zusammen mit dem Wein verlangsamte ihn. Er wurde müde, die Zunge lag ihm schwer im Mund. » Alles Weitere…morgen, Johannes.« Bei » morgen« wieder das Glücksgefühl. Vaga luna. Die Sängerin. Die weiche Sängerin. Es kehrt die dunkle Schwalbe. » Das mit der dunklen Schwalbe ist dein schönstes Lied, Johannes«, murmelte er.

Sonntag
    Am frühen Morgen wachte Herr Merse aus einem explosiven Traum auf, der mühelos den Tablettenwall zwischen Nacht- und Tag-Ich gesprengt hatte. Schauplatz war Herrn Merses Elternhaus, ein Reihenendhaus in Hamburg-Othmarschen, in dem er die ersten zwanzig Jahre seines Lebens verbracht hatte. In dem breiten Durchgang zwischen Wohn- und Esszimmer prangte ein kraftvoller Stier. Sein vorderer Teil füllte das Esszimmer, sein Hinterteil das Wohnzimmer fast ganz aus, denn die Zimmer waren klein, und der Stier war riesig. Herr Merse und Joel standen in der Nähe des Stierkopfes, Barbara und Herrn Merses Mutter neben dem Hinterteil im Wohnzimmer. Sie unterhielten sich angeregt über Belangloses, während Dagmar geschäftig zwischen beiden Zimmern hin- und herhuschte. Nur Herr Merse und Joel beachteten den Stier. Der dampfte vor Kraft und schaute Herrn Merse mit seinen dunklen Augen direkt ins

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