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Herr Möslein ist tot (German Edition)

Herr Möslein ist tot (German Edition)

Titel: Herr Möslein ist tot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Meissner
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fröhlich.
    »Allerdings haben wir noch keine behördliche Genehmigung. Unsere Pässe müssen jetzt über eine Woche eher fertig werden!«, sagt Betty und meint: Eher als sie für unser Gastspiel in Hamburg Mitte Oktober fertig sein müssten. Den Vertrag hatte die Künstleragentur der DDR schon Anfang September mit dem Kosmetikhersteller Guerlin für uns abgeschlossen, das Visum war noch nicht erteilt.
    »Ich weiß! Aber mach dir keine Sorgen, Betty, das wird schon. Man wird uns bis kurz vor knapp warten lassen, aber dann klappt es!«
    Wir hatten – trotz der extrem gelockerten Ausreisebedingungen für Künstler der DDR in den letzten Monaten – bis Anfang Oktober ’ 89 den Eindruck, dass man ausgerechnet uns nicht rauslassen wollte. Darum habe ich nie vergessen, wie Betty und ich jubelten, als wir – ein Jahr nach dem Antrag und unzähligen Nachfragen – die erste Einreisegenehmigung ins nichtsozialistische Ausland in den Händen hielten.
    Darauf kann Betty im Moment nur hoffen. Sie summt zuversichtlich vor sich hin, während sie den Trabi Richtung Mahlow lenkt. Schon ulkig, denke ich, in einigen Tagen werden wir zu einem Auftritt nach Westberlin und in einigen Wochen sogar durch die ganze Welt reisen, aber jetzt zuckeln wir stundenlang rund um die geteilte Stadt. Ich lausche Bettys Summen, das im Trabibrummen fast untergeht, und starre in den schwarzen Nachthimmel über Mahlow. Wie alles, was ich sehe, höre und rieche, seit ich Potsdam 2.0 verlassen habe, ruft auch die Fahrt auf der stockdunklen Landstraße sofort Erinnerungen in mir wach, die lange verschüttet schienen. »Hey, Betty, weißt du noch, wie ich hier auf dem Acker meine Lichtmaschine verloren habe?«
    »Ich war doch gar nicht dabei!«
    »Stimmt, aber du hast mich gerettet!«
    Betty grinst zwar, hat aber scheinbar keinen Bock, mit mir über die Kuriositäten des sozialistischen Alltags zu sprechen. Ich denke mit amüsiertem Grausen daran zurück, wie sich mit einem großen Knall auf stockdunkler Landstraße Licht und Motorgeräusch meines Trabis verabschiedeten. Als DDR -Bürger hatte ich natürlich eine Taschenlampe dabei, mit der ich sofort den Straßenrand und den Acker daneben absuchte. Wenig später fand ich ein großes Metallteil, welches ich intuitiv als Lichtmaschine identifizierte. Ein freundlicher Wartburgfahrer schob wenig später mein Gefährt an den Straßenrand und fuhr mich samt Gepäck ins Palasthotel, wo Betty schon wartete.
    Nachdem wir unseren Auftritt in dem im Jahr 2000 abgerissenen Devisenhotel absolviert hatten, schleppte mich Betty mit meinem kranken Auto bis nach Hellersdorf zur einzigen Werkstatt, die auch nachts offen hatte. Nach den üblichen Bestechungen und Augenaufschlägen und nur im Tausch gegen die alte, bekam ich eine neue Lichtmaschine. Eine sozialistisch-historische Sensation, denke ich gerade, als wir den Alex erreichen. Hinter uns blinkert der Fernsehturm, während wir in die Tiefgarage des Hotels Stadt Berlin abbiegen, um dann mit dem Fahrstuhl vom Keller in die Lobby und mit einem nächsten Fahrstuhl von der Lobby in die 37. Etage zu fahren. Schlagartig erkenne ich, dass meine Absprache mit Jürgen einen Haken hat. Dieses Hotel ist nicht nur beeindruckend hoch, es hat auch über 1000 Zimmer! So alt kann meine Oma gar nicht werden. Hoffentlich bekomme ich ein Zimmer mit einer Nummer zwischen 60 und 80, sonst wird’s s chwierig. Pling! Die Tür des Fahrstuhls öffnet sich. Betty und ich schleppen unsere Klamotten über einen Hintereingang in die Künstlergarderobe der Nachtbar, in der wir gleich mit unseren halbnackten Körpern den Gästen aus aller Herren Länder die Köpfe verdrehen und die Überlegenheit der Deutschen Demokratischen Republik demonstrieren sollen. Anzug oder knappes Schwarzes sind die Minimalanforderungen für DDR -Bürger, die diese Bar besuchen wollen. Ein volles Portemonnaie wünschenswert. Für Besucher aus dem NSW , dem nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet, wie die am heutigen Abend anwesenden Amerikaner, die mit Jogginganzug und Lockenwicklern auf dem Kopf in der Bar lümmeln, gilt das scheinbar nicht. Das regt mich heute wie damals auf. Sehr sogar.
    In der Künstlergarderobe tummeln sich schon die lieben Travestie-Kollegen, die noch Phonomimiker heißen. Sie haben ihre Glitzer-Klamotten auf alle vorhandenen Stühle verteilt. Ingo, der Assistent der Truppe, begrüßt uns besonders herzlich. Mein Gott, Ingo! Mein Herz hüpft plötzlich so, wie bei meinem ersten Blind Date mit

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