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Herr Möslein ist tot (German Edition)

Herr Möslein ist tot (German Edition)

Titel: Herr Möslein ist tot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Meissner
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Frau Lukas ergreift die Initiative: »Na los, Frau Meissner, kommen Sie mit in mein Büro und rufen Sie diesen Jürgen an!«
    ***
    Jürgen ist, sicher wegen seines schlechten Gewissens, sofort zu jeder Hilfe bereit. Er holt uns umgehend mit seinem roten, von Papa finanziertem Mercedes vom Grenzübergang Invalidenstraße ab. Wahrscheinlich gib ihm dieses Auto wieder das Selbstbewusstsein, das ihn bei unserem Hotel-Stadt-Berlin-Desaster in Sekundenschnelle verlassen hatte. Wir fahren Richtung Lützowstraße, vorbei am nicht vorhandenen Hauptbahnhof, dessen Eröffnungsfeuerwerk Carsten und ich kurz nach unserem Kennenlernen vom Toilettenfenster seiner Berliner Wohnung im Tiergarten verliebt beobachtet haben, zur Eventlocation Alte Pumpe, und ich frage mich gerade, ob es ’ 89 schon das Wort Eventlocation gab, als Jürgen bereits in die Hofeinfahrt derselben abbiegt. Zur Pumpe gehören zwei alte, wunderbar restaurierte Backsteinbauten. Der kleinere Industriebau wird von einem Schornstein gekrönt. Wir betreten durch den Hintereingang das größere der beiden Häuser.
    Unser österreichischer Zauberer, Künstlername Sylvester ist ein großer Mann, dessen Bauch unter einem edlen, grauen Jackett versteckt ist. Er empfängt uns mit viel Schweiß auf der hohen Stirn und ist aufgeregt. »Oan Glück, endlich seid’s hier! Hab schon gdacht, die lassens euch nie mehr raus. Jetzt hopp, hopp. Mir hobn koa Zeit z umagrutschn.« Mittlerweile ist es viertel fünf, und die ersten feierfreudigen Augenärzte stürmen bereits die Bar des Restaurants, welches wir ausgiebig bestaunen, nachdem wir unsere Sachen in der Garderobe abgestellt und uns die aus einem paillettenbesetzten Oberteil und einem kurzen Tüllrock bestehenden Finalkostüme übergezogen haben. Der Raum wird von großen alten Pumpen dominiert, die die Reste des durch zwei riesige Fenster einfallenden Tageslichtes spiegeln. Zwischen den riesigen Rohren und industriellen Stahlgebilden stehen festlich gedeckte Tische. Im Saal nebenan sind zwei Bühnen aufgebaut. Das BLAM U-Orchester aus Weimar begrüßt uns mit einem fröhlichen Hallo, und Zauberer Sylvester weist uns in den Ablauf der Feierlichkeiten ein. Ich bin die Auserwählte, die er zersägen wird. »Ane Probe brauchts net. Musst die net zerspargeln!« Ich lache, weil ich kein Wort verstehe. »Verstehst mi net. Guat, i versuchs mit Hochdeutsch. Weißt, was die Österreicher und die Deutschen am meisten trennt? Die gemeinsame Sprache!« Jürgen lacht am lautesten über den Ösi-Witz.
    Der für uns offizielle Teil beginnt gegen 20 Uhr. Der Magier wird mich in eine Kiste stecken und mit einem Fuchsschwanz zersägen. Glaubhaft wird das Ganze, weil ich wie wild zapple und einige Buntstifte, die in einem über meinem Bauch gespannten Holzrahmen stecken, halbiert auf den Boden fallen. Ich habe nie erzählt, wie das Kunststück funktioniert, Künstlerehre! Fest steht, mit dieser Nummer kannst du in Zeiten von David Copperfield und Hans Klok niemanden mehr hinter dem Ofen hervorlocken. Die Augenärzte werden trotzdem enthusiastisch applaudieren. Komisch, dass sie den simplen Zersäge-Trick nicht durchschauen. Ich bin seitdem der festen Überzeugung, dass Augenärzte sehr schlecht gucken können.
    Als wir uns für unseren Tanzauftritt in das Hooray-for-Hollywood-Kostüm werfen, bin ich erstaunt, dass ich es ohne Schwierigkeiten zuknöpfen kann. Als ich kürzlich, also in der Zukunft, meinen Kostümkoffer aufräumte, musste ich nämlich feststellen, dass mir durch mein altersbedingtes Taillenwachstum dieses mit rosa-weißen Glitzersteinen verzierte Kostüm nie mehr passen wird. Da hilft auch kein Körper shapendes Schlank-Stütz-Hemdchen mehr. Betty und ich drapieren vor dem Garderobenspiegel unsere silbernen Glitzerschlipse über unsere gepuschten Busen. »Sag mal, Betty«, ich nutze die kurze Phase professioneller Auftrittsvorbereitung, in der Betty konzentriert und nicht von den vielen neuen Eindrücken der Westberliner Partywelt abgelenkt ist, für die wichtigste Frage des Abends.»Wollen wir uns nicht, wenn wir hier fertig sind, ins Westberliner Nachtleben stürzen? Ich weiß von einer großartigen Bar in der Nähe vom Wittenbergplatz!«
    »Können wir, unser Visum geht bis 1 Uhr. Müssen wir nur noch Jürgen überreden!«
    »Du bist toll!« Ich greife Bettys Kopf und knutsche sie überschwänglich auf die Wange, was Betty mit einem missbilligenden Blick und dem hektischen Abwischen meines Lippenstiftabdrucks quittiert. Danach

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