Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr Möslein ist tot (German Edition)

Herr Möslein ist tot (German Edition)

Titel: Herr Möslein ist tot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Meissner
Vom Netzwerk:
Frisur nach Carstens Geschmack kreiert. Ich lehne mich nach links und stütze mich vom Trabi-Beifahrersitz ab, um einen Blick in den Rückspiegel zu erhaschen. Na ja, schön ist anders, denke ich, als mir meine grell-orangfarbene Haarpracht aus dem Spiegel entgegenleuchtet.
    »Tati, pass doch auf!«, Betty fühlt sich bedrängt und schubst mich mit der Schulter zurück auf den Trabisitz.
    Nach einer kurzen Pause fragt mich meine Tanzkollegin: »Sag mal, Tati, warum bist du nicht zum Friseur gegangen?« Betty gibt sich Mühe, nicht beleidigend zu wirken. Ich bin trotzdem verstimmt und antworte nicht. Mein dezentes Make-up, die im Moment sehr moderne Strassbrosche am Jackett und meine schwarzen Elf-Zentimeter-Pumps, die ich vor ein paar Jahren nach einem Ferienjob im Berliner Exquisit erstanden hatte, lenken Carsten garantiert von der verpfuschten Haarfarbe ab, beruhige ich mich. Wir rollen über die Invalidenstraße nach Westberlin. Betty, erleichtert wegen des reibungslosen Ablaufs der Grenzkontrolle, fragt nach meinem Plan für den heutigen Tag. Immerhin haben wir den ganzen Tag Zeit, bevor wir am Abend zur Trabrennbahn müssen. »Na, ich dachte, wir fahren jetzt zu Tante Ev. Lexi wird dort sein, und wir quatschen ein bisschen, fahren dann zum Wittenbergplatz und suchen Carsten. Natürlich nur, wenn du Lust hast. Sonst fahr ich allein mit der U-Bahn.«
    »Hab ja schon gesagt, ich komme mit. Will doch sehen, was das für ein Typ ist, wenn er dich so verwirrt, dass du deine Haare orange färbst.«
    »Ein ganz toller Typ isser.« Ich freue mich, von ihm erzählen zu können. »Er hat dunkelblonde halblange Haare, ein bisschen wellig, ist 1,96 groß. Trägt meist Jeans und T-Shirt … äh … Nicki. Sieht wirklich cool aus und ist …«
    »Wie sieht der aus? Kalt?«, Betty schwenkt sehr beschwingt in den Kreisverkehr um die Goldelse ein, die anderen Autos hupen, und ich halte mich am Plastegriff fest.
    »Nein. Er sieht einfach gut aus. Urst schau eben.«
    »So urst schau wie deine neue Frisur?«, stichelt Betty.
    »Mindestens!« Ich bin angezickt.
    »Woher weißt du das alles?«, will Betty wissen.
    »Weil ich schon viel erlebt habe.« Erwidere ich genervt. »Stell dir vor, ich käme aus einer Zeit, in der man sich nicht nur die Haare, sondern auch das Gesicht verschneiden lassen kann. Ich weiß es einfach.« Dass Betty so höflich ist, nicht weiter nachzufragen, finde ich sehr beruhigend.
    ***
    »Wir sind da!«, ruft Betty, während sie im Teikeweg in Mariendorf einen Parkplatz sucht.
    »Wie gut du dich im Westberliner Straßennetz auskennst!« Ich bin ehrlich begeistert von Bettys Fahrkünsten und greife nach den drei roten Nelken, die wir für Tante Ev im Blumenladen erstanden haben. Die Tante steht bereits am Fenster ihrer Drei-Zimmer-Neubauwohnung und winkt uns zu. Schick sieht sie aus. Sie hat ihr grau meliertes Haar frisch gelockt, trägt eine blau-geblümte Bluse und eine goldene Kette. An ihrem Winkarm glitzert und blinkt ein sehr teuer wirkendes Goldarmband.
    Der Summer summt, wir hüpfen beschwingt die Stufen zur ersten Etage hoch und betreten gut gelaunt Tantchens Wohnzimmer. Rund um den festlich gedeckten Kaffeetisch sitzen meine Schwester und – ich kann es kaum glauben – der zwar hilfsbereite, aber bei wichtigen Dingen völlig dilettantisch agierende Jürgen. Während ich kurz denke, dass ich die Rosenholz-Akten anfordern sollte, hat mich Alu schon fest in den Arm genommen. »Ach, Tati, schön, dich so schnell wieder knutschen zu können!« Dann kommt sie mit ihrem Mund ganz dicht an mein Ohr und flüstert: »Sei nett zu Jürgen. Er hat sich solche Mühe gegeben. Für dich!« Nachdem wir uns alle überschwänglich begrüßt haben, kommt Tantchen mit frisch gebrühtem Kaffee und schenkt uns aus der bauchigen, mit goldigen Blumen verzierten Kaffekanne mit Tropfenschutz den guten Jacobs-Kaffee ein.
    Alexandra erzählt von ihrer Flucht über Ungarn bis zur Ankunft im Aussiedlerheim in der Berliner Hasenheide, gleich neben der Disco Joe, wo Betty und ich nach der Maueröffnung aufgetreten sind. Natürlich sage ich das nicht. Will ja niemanden verwirren. Tantchen legt uns allen mehrere Feuerzeuge als Geschenk auf den Tisch, Jürgen zappelt unruhig auf seinem mageren Hintern, fummelt nervös an seinem Schlips, und ich habe den Eindruck, dass er von seinen Heldentaten berichten möchte, die Alu schon andeutete.
    Darum bin ich nett und frage: »Und, Jürgen? Was gibt’s bei dir Neues?« Sofort ändert sich

Weitere Kostenlose Bücher