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Herr Möslein ist tot (German Edition)

Herr Möslein ist tot (German Edition)

Titel: Herr Möslein ist tot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Meissner
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seine Haltung. Er macht eine Kunstpause, bis er sich unserer ungeteilten Aufmerksamkeit sicher sein kann, und platzt fast vor Stolz, als er endlich loslegt: »Ich weiß, wo Carsten arbeitet!« Natürlich sage ich ihm nicht, dass ich durch Gisis Cousin auch schon einen Schritt weiter bin. Will ihn ja nicht demotivieren. Aufgeregt frage ich: »Hast du ihn gesehen?«
    Statt einer Antwort lehnt er sich lässig in seinen Holzstuhl und grinst. Oh, wie ich solche Wichtigtuerei hasse. »Nun sag’s doch endlich!«, herrscht auch Betty ihn genervt an und versichert mir durch Augenrollen ihre Solidarität.
    »Also«, holt Jürgen aus, »ich bin nach dem Ausschlussprinzip vorgegangen. Im Oldtimer war dieser Carsten ja nicht. Darum bin ich als nächstes in den Knast gegangen.«
    »Wirklich? Toll!«, äußere ich ehrlichen Herzens. So bleibt mir die Sucherei erspart.
    »Toll? Das dachte ich zuerst auch. Vor dieser Bar standen ja sensationelle Edelkarossen rum. Unglaublich.«
    »Nun mach’s doch nicht so spannend«, mischt sich Betty wieder ein, die ihre kostbare Zeit in Westberlin davonrennen sieht.
    »Doch, ich muss es spannend machen. Dass ich da rein bin, grenzt an selbstmörderischen Masochismus. Ihr ahnt ja nicht, was da abgeht.« Jürgen lässt sich nicht von seiner Bühne vertreiben. Er will unsere Anerkennung. Mit aller Macht.
    Er schlürft an seiner Kaffetasse und schielt zu Tantchen, die sich gerade eine Zigarette ihrer Lieblingsmarke PS angezündet hat und uns jetzt ebenfalls eine anbietet. Wir greifen begierig zu. Während sich das Wohnzimmer in eine Räucherkammer verwandelt, beschreibt unser Held bis ins kleinste Detail die Bar namens Knast, die aus einem großen Raum mit stahlbeschlagenem Tresen besteht, komplett schwarz gestrichen ist und in dem die Gäste – mangels Tischen und Stühlen – einfach rumstehen und ihr Bier trinken. Ich höre erst wieder richtig zu, als Jürgen mit bebender Stimme sagt: »Und da drin sind nur Männer. Alle schwarz gekleidet. Manche angekettet, manche beschmieren sich mit Joghurt und lassen sich den dann ablecken.« Beim letzten Satz lockert Jürgen seine Krawatte, Tantchen geht auf die Toilette, und Betty lacht laut los. »Na, da hast du ja reingepasst, wie Körperklaus ins russische Staatsballett!«, sagt sie.
    Ich versuche aus Angst, dass Jürgen vor Wut die wirklich wichtigen Informationen zurückhalten könnte, zu schlichten, kneife Betty in ihren Oberschenkel und sage so mitfühlend wie möglich: »Oh, Jürgen, das war bestimmt schwer für dich.«
    »Und wie!«, nickt er trotzig. »Aber ich bin trotzdem dort geblieben und habe mich zur Bar durchgedrängelt, um nach deinem Carsten zu fragen.« Jürgen unterstreicht das Gesagte durch emsiges Kopfnicken. So schnell wie möglich setze ich ein enthusiastisches »Toll!« nach, kann aber nicht verhindern, dass Betty ironisch kichert: »Und das bei deiner Schwulenallergie! Hoffentlich hast du keinen Ausschlag am Hintern bekommen!« Diesmal boxe ich unterm Tisch auf ihren Oberschenkel, kann aber den nächsten Lachanfall nicht verhindern, weil Jürgen ernsthaft erwidert: »Zum Glück nicht. Aber ich musste beim Drängeln feststellen, dass viele der Gäste in ihren Hosen ein großes Loch hatten, also ihre Hintern unbekleidet trugen!« Jetzt lacht auch meine Schwester, und ich sehe schon jede Chance auf einen harmonischen Ausgang dieses Nachmittags schwinden, als Tantchen wieder die Szene betritt. »Will noch jemand Apfelkuchen?«
    Wir wollen alle, außer Jürgen. Der will seine Heldentat loswerden. »Jedenfalls«, sagt er und ringt um Fassung, »ich habe wirklich viel ertragen müssen, Tati. Sie haben mich angegrabscht, an meinem Schlips gezogen und in den Hintern gekniffen. Aber der Barkeeper war nett. Und angezogen. Keine durchsichtige Schürze. Zum Glück!« Ich sehe Jürgen die Erleichterung über den Ausgang seines Kamikaze-Einsatzes an. »Ach Jürgen, du bist so mutig«, versuche ich ihn erneut möglichst ironiefrei zum Weitersprechen zu bringen. »Was hat denn der Barkeeper gesagt, mhm?«
    »Er hat gesagt«, es folgt die obligatorische Spannungserhöhungskunstpause, »dass im Knast kein Carsten arbeitet.«
    Fast einstimmig blasen wir Frauen unsere angehaltene Luft mit einem genervten »Oh, nee!« aus.
    »Jetzt nehme ich doch ein Stück Apfelkuchen!« Jürgen greift sich ein Randstück und beißt ab. »Und wisst ihr, warum?«
    »Warum du ein Stück Apfelkuchen isst?«, fragt Alu.
    »Ja!«, lächelt Jürgen.
    »Weil du Appetit

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