Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)
Straße hinaus.
Am nächsten Abend machte er sich erneut auf den Weg, dieses Mal vorsichtshalber mit Ennos weißer Plastiktüte, auch wenn es gewiss keines Vorwands bedurfte.
Nachdem er geklingelt hatte, schepperte zur Antwort eine fremde Stimme aus einem Metallkästchen, wie es auch an Piotrs Haus zu finden war.
»Ich ersuche allerhöflichst um Einlass, indem ich etwas für Herrn Enno abzugeben hätte und …« Der Türöffner unterbrach ihn, und Wolfgang stieg mit der Hoffnung nach oben, dass Jost nicht zu Hause sei. Die Wohnungstür war angelehnt, er tappte über die knarrenden Dielen des Korridors. Schummriges braunes Licht umfing ihn, über allem schwebte, wie von fern, sanfte, ganz wundersame Musik, eine einsame Melodie wie eine Linie, frei, losgelöst, jenseits aller Harmonien.
Doch dann, ohne Vorwarnung, musste Wolfgang innehalten, sah sich verwirrt um. Ein seltsames Befremden nahm ihm den Atem, und hätte ihn just in diesem Augenblick jemand gefragt, woher er komme oder was er wolle, so wäre er die Antwort schuldig geblieben. Nichts, was er sah, war ihm vertraut. Wo war er? Und wie war er an diesen Ort gelangt? Das Herz klopfte ihm bis zum Hals. Alles, woran er sich erinnerte, war, am Mittag mit Piotr eine Suppe gegessen zu haben. Und nun? Ihm war, als habe man ihn unversehens an einen Ort gestellt, der ihm fremder nicht hätte sein können.
Eine zarte Stimme, vibrierend und melodiös, ließ ihn zusammenfahren. Und mit einem Schlag kannte er sich wieder, als habe jemand einen Vorhang beiseitegeschoben.
»Enno ist noch nicht da.« Aus der Küchentür war eine zierliche Frau getreten. Ihre feine, nach unten gebogene Nase gab ihr das Aussehen eines kleinen Vogels. Ihre Augen waren zwei schwarze Steine, ihr langes dunkles Haar mit einem gemusterten Tuch über der Stirn gebändigt.
Etwas durchfuhr ihn, als sei er gerade erwacht, und er spürte, dass es Freude war. Reine, helle Freude über diese Frau, die er nicht im mindesten kannte. Er erwiderte ihren Blick, verharrte, ein wenig zu lange. Entdeckte ein Lächeln, ebenso klein wie sie selbst. Wolfgang starrte in die exotischen Augen, wagte nicht, sich ihr zu nähern. Ob das Ennos oder gar Josts Weib war? Oder bloß die Magd, die man unlängst so sehr entbehrt hatte?
»Bist du ein Kollege von Enno?«
»Ich, äh, bitte um Verzeihung.« Wolfgang verbeugte sich. »Mein Name ist Wolfgang Mustermann. Enno hatte die Güte, mir aus einer vorübergehenden Verlegenheit zu helfen – mit einigen Sachen, deren ich nicht mehr bedarf.« Er hielt der Mandeläugigen die Plastiktüte hin. Warm streiften ihre Fingerspitzen seine Hand. »Bitte empfehlen Sie mich, mit verbindlichstem Dank für seine Großzügigkeit.« Er strich sich die Haare aus der Stirn. »Ich war in der Hoffnung heraufgekommen, dem Herrn Gatten selbst meine Aufwartung zu machen, indes …«
»Dem Herrn Gatten? Enno? Gott bewahre! Das ist bloß ’ne WG hier. Wir sind zu viert – Enno, Jost, Barbara und ich.« Sie zögerte, ihr Blick war ein Glissando in lichtwarmen Farben. »Ich habe Tee gemacht. Enno kommt sicher gleich.« Sie zeigte mit einer Kopfbewegung zur Küche. Beim Gedanken an Tee grauste ihn, doch er wäre ihr auch gefolgt, wenn sie ihm Putzwasser angeboten hätte.
»Und … Jost?«, fragte er vorsichtshalber, noch ehe er über das Wort Wégué nachgrübeln konnte.
Sie sah auf eine winzige Uhr an ihrem Handgelenk und griff nach einer Tasse, die umgedreht auf der Abtropfestand. »Der kommt meistens gegen sechs, müsste also eigentlich längst da sein.«
Wolfgang blieb abrupt im Türrahmen stehen, sein Blick spürte ihren wunderbar aufrechten Rücken entlang, streifte ihre Schultern. Nervös bohrte sich sein Daumennagel in die Fingerkuppen. »Dürfte ich … ein andermal wiederkommen? – Wegen des Tees?«
Sie lächelte!
»Keine Zeit?«
Wolfgang hob rasch die Hände. »Ich befand mich just auf dem Weg zu meiner Arbeit, und als ich seit langem dies habe zurückbringen wollen, so kam mir in den Sinn, mich nach einer Sache zu erkundigen, deren ich dringend bedarf.«
»Aha. Um was geht es denn? Vielleicht kann ich dir ja helfen.«
»Nun, es ist dermalen so, dass ich eine Composition angefertigt habe, in diesem Eurem Hause, auf die ich vergaß, indem mein Heimweg gar zu geschwind angetreten werden musste.«
»Composition? Ehm, bist du Musiker?« Sie machte ein Gesicht, das gleichermaßen Spott wie Anerkennung bedeuten konnte. »Und wo arbeitest du?«
»In einem Lokal, nicht weit von
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