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Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
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mehr ganz so frisch aussehe wie noch in den ersten Monaten an der Nationalen Tontechnikerschule, aber ich finde, dass er mich trotzdem zumindest mit einem kollegialen Nicken hätte bedenken können.

    Nun wandere ich im Stadtteil Majorstuen herum, gucke Schaufenster an, lese vergessene Zeitungen, hole ein Rippchen heraus und nage mich bis durch den Knochen. Ich finde, dass der Knochen selbst am besten schmeckt, und vor allem der weiche Teil des Knochens kommt mir viel saftiger und fleischiger vor als der Rest. Natürlich mute ich mir nicht zu, in einen Laden zu gehen, denn das würde sechs Stunden Ritualisieren beinhalten, und das würde mich völlig runterziehen. Ich genieße dieses Herumschlendern nicht, aber ich empfinde es doch als entspannend. Vor einem Reisebüro bleibe ich stehen. Sie haben dort ziemlich günstige Reisen in verschiedene Erdteile. Unter anderem nach Toronto in Kanada. Fünfzehntausend Kronen, inklusive drei Nächte im Hotel. So eine Flugreise würde mich augenblicklich gesund machen – Kälte, blaue Fluglinie, dreißigtausend Fuß hoch in der Luft, keine Türschwellen oder Waschbecken. Aber der Preis. Das kann ich mir nicht leisten. Vielleicht später einmal. In sieben Monaten, wenn ich so gesund geworden bin, wie ich sein will, dann sollte ich mir das Geld für solch eine Reise leihen. Todsicher werde ich wieder der Buddha- und Lügnergang beitreten und ein paar Monate schuften, und das wird mir gewisse ökonomische Möglichkeiten verschaffen, und dann kann ich mir etwas leisten, etwas richtig Gutes. Canadian ribs with blue cheese sind sicherlich eine Delikatesse, wenn man etwas für Rippchen übrig hat. Ich betrachte die Frau, die im Reisebüro sitzt, sie trägt ein Headset und spricht mit jemandem, als würde sie in einem Cockpit sitzen, in einer Boeing 747 auf dem Weg nach Kanada, nach Toronto. Bestimmt riecht sie gut, ich würde gern neben ihr liegen, an ihren Haaren riechen, ihren Hals küssen, die Knie, die Brüste, das Haar und wieder den Hals. Sie könnte auch gern das Headset aufbehalten, das stört mich kein bisschen. Plötzlich winkt sie mir zu, aber sie scheint mich nicht zu sich zu winken, sondern sie winkt mich weg. Was habe ich denn jetzt falsch gemacht? Ich habe ja wohl ein Recht auf Schaufenstershopping und auch auf Schaufensterficken, dagegen gibt es ja wohl kein Gesetz. Eine ihrer Kolleginnen sieht mich an, sie schütteln die Köpfe, als wäre ich irgendein Verrückter. Idioten, denke ich und fahre mit dem linken Zeigefinger über die Scheibe, ehe ich gehe.

    An einem Einkaufszentrum bleibe ich vor einem großen Spiegel stehen. Es ist lange her, seit ich mich das letzte Mal im Spiegel gesehen habe. Meinen Körper habe ich eine ganze Weile nicht angeschaut, nicht, seit ich zusammen mit dieser Champagnerkünstlerin nackt auf der Matratze saß. Ich habe mich verändert. Mein Haar ist schulterlang, der Bart etwas dichter, die Augen schwarz, der Mantel fängt an zu zerfallen, ich bin ziemlich mager, ich rieche, glaube aber nicht, dass ich stinke, das glaube ich absolut nicht. Die Leute starren mich an, aber vielleicht gefällt ihnen ja auch meine klassische Nase, oder sie finden meine Synthie-Klamotten spannend, dieser Kleidungsstil ist in dieser Amateurhauptstadt immer noch recht selten. Die Blicke sind kurz, und wenn ich ihnen begegne, dann sieht man schnell weg, als fühlte man sich von mir angezogen. Vielleicht sollte ich reingehen und die Frau mit dem Headset fragen, ob sie … ob sie zum Beispiel meine klassische Nase zeichnen möchte. Das würde sie sicher zu weitergehenden Gedanken anregen. Und ihre Kollegin auch. Ja, ich sitze gern nackt Modell, aber jetzt bin ich es, der die Bedingungen stellt – die Sitzung sollte auf dem Rücksitz meines Chrysler 300C stattfinden. Aber vielleicht mag sie Chrysler nicht. Vielleicht würde sie mich für einen Psychofall halten, die Security rufen, und die würden mich mit Gewalt wegbringen, meine klassische Nase würde beschädigt, und was bleibt mir dann? Außer dem Chrysler?

    Ich setze mich auf eine Bank, versuche die Gedanken zu sammeln, die guten Gedanken und das positive Denken – morgen, wenn ich noch eine Nacht im Auto geschlafen habe, wird es mir noch besser gehen. Also beschließe ich, noch eine Nacht dort zu schlafen und noch eine. Das kann nur gut sein. Gut – Zucken im Bauch, kleines Geräusch .

    Es wird langsam dunkel, die Leute eilen von ihrer Arbeit nach Hause, Busse, Straßenbahnen und Taxis fahren herum, es ist

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