Herren der Tiefe
fassungslos, was sich vor seinen Augen abspielte. Denholm wandte sich wieder an Serena.
»Verzeiht, Herrin«, sagte er. »Es ist nicht so, daß ich Eure Befehle anzweifle, aber Malcolm ist einer der unseren. Er ist sehr
angesehen, und er hat viele Freunde. Vielleicht ist es nicht so
klug –«
»Was klug ist und was nicht, entscheide ich«, unterbrach ihn
Serena. »Willst du dich mir vielleicht widersetzen?«
Wenn Mike den Ausdruck auf Denholms Gesicht richtig deutete, dann stand er tatsächlich kurz davor, ganz genau das zu
tun. Aber schließlich beließ er es bei einem angedeuteten Kopfschütteln und gab den beiden Männern mit einer Geste zu verstehen, daß sie gehorchen sollten. Sie taten es, aber sie ergriffen
Malcolm nicht wieder, sondern warteten ab, bis er ihnen aus
freien Stücken folgte.
»Gut«, sagte Serena. »Dann geh jetzt auch, und kümmere dich
darum, daß der Gefangene gut bewacht wird. Ich werde später
mit ihm reden. Und du?« Sie wandte sich zu Mike um und sah
ihn mit Erstaunen an. »Was willst du noch hier?«
»Ich… ich wollte… mit dir reden«, stotterte Mike. Serenas
linke Augenbraue rutschte ein Stück nach oben. »Reden?«
wiederholte sie. »Ich wüßte nicht, was wir noch Wichtiges zu
bereden hätten.«
»Aber ich –«
»Ich habe im Moment wirklich keine Zeit, um mich mit dir abzugeben«, unterbrach ihn Serena kühl. Sie machte eine ungeduldige Bewegung mit der Hand. »Geh zu deinen Freunden zurück.
Ihr werdet doch sicher die eine oder andere nützliche Beschäftigung finden, bis ich entschieden habe, was mit euch geschieht,
oder?«
Du solltest besser tun, was sie sagt, sagte Astaroths lautlose
Stimme in seinen Gedanken. Serena war das nicht entgangen.
Sie blickte den Kater ärgerlich an, und Astaroth hatte es plötzlich sehr eilig, sich in irgendeinem Winkel zu verkriechen. Mike
registrierte beiläufig, daß die schwarzweiße Katze neugierig in
Astaroths Richtung sah, es aber nicht wagte, sich ihm zu nähern – vielleicht, weil sie dazu dicht an Serena vorübermußte,
die offenbar wenig für Katzen übrig hatte, nicht für ihre eigene,
geschweige denn für eine fremde.
»Worauf wartest du noch?« fragte Serena. »Soll ich dich erst hinauswerfen lassen?«
Mike mußte plötzlich mit aller Macht gegen die Tränen ankämpfen, die ihm in die Augen steigen wollten. Eine Sekunde
lang blickte er Serena traurig an, dann drehte er sich mit einem
Ruck herum und lief so schnell aus dem Haus, daß es schon
einer Flucht gleichkam.
Mike war so sehr mit seinen eigenen Gedanken und Grübeleien
beschäftigt, daß er ganz vergaß, zu Malcolms Haus zurückzugehen, wo er ja mit André verabredet war. Lange irrte er durch
den Ort und den umliegenden Wald, und es war wohl am Ende
nichts weiter
als Zufall, der seine Schritte wieder zurück zu
dem Haus auf der Klippe lenkte, in dem Trautman und die anderen bereits auf ihn warteten.
Was er bei seinem Eintreten sah, das hob seine Laune
auch
nicht. Trautman, Ben, Chris, Juan und Singh saßen an dem
niedrigen Tisch beisammen und redeten, aber als sie ihm bemerkten, verstummten sie abrupt. Trautman und Singh ließen
sich nichts anmerken, aber Chris senkte betreten den Blick, und
auch Juan sah ihn nicht an. Einzig Ben blickte ihm entgegen,
aber nicht auf seine sonst so direkte Art. Die drei Jungen schienen das verkörperte schlechte Gewissen zu sein.
Mike hatte nun keine Lust mehr, darüber hinwegzugehen.
Was er mit Serena erlebt hatte, war schlimm genug. Er würde es
nun nicht mehr hinnehmen, daß ihn auch seine Freunde hintergingen. Aber bevor er eine entsprechende Frage stellen konnte,
kam ihm Ben zuvor.
»Nun?« sagte er in fast fröhlichem Ton. »Wie war dein Rendezvous mit unserer kleinen Prinzessin?«
Mike antwortete nicht. Bens Ton ärgerte ihn, aber die Frage
versetzte ihm auch einen tiefen, körperlich
schmerzenden
Stich.
»Nicht besonders erfreulich, wie?« fuhr Ben fort. Er
lachte. »Ja, ja, sie ist ein richtiges Herzchen, nicht
wahr?«
Allmählich reichte es Mike. »Sprich nicht so über sie!« sagte er
scharf. »Sie ist –«
»– nicht das, was du erwartet hast«, unterbrach ihn Trautman.
Mike drehte sich mit einem Ruck zu ihm herum. Für eine Sekunde brodelte heißer Zorn in ihm empor, und er war nahe
daran, Trautman anzuschreien – aber dann sah er etwas in
dessen Augen, was ihn allen Zorn auf der Stelle vergessen und
sich seiner eigenen Unbeherrschtheit schämen ließ: ein tiefes,
ehrlich empfundenes Mitgefühl,
Weitere Kostenlose Bücher