Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herrengedeck

Herrengedeck

Titel: Herrengedeck
Autoren: Philip Tamm
Vom Netzwerk:
Scheitere an Birgits seltsam verstockter Art, etwas über ihr Leben nach Feierabend zu verraten.
    Dafür andere Erfolge: Blickkontakt mit einer Verkäuferin in einer Bäckerei, Telefonnummerntausch mit meiner Lieblingskellnerin im Bistro, Plausch mit der Tochter von Frau Solinger, die genauso ein Schmuckstück ist wie ihre Mutter, nur dreißig Jahre jünger (muss da am Ball bleiben).
    Außerdem: erfolgreiche E-Mail-Konversation mit einer Onlinedaterin namens Tanja, die von Anfang an meine Favoritin war. Will mich heute Abend kennenlernen! Na, wer sagt’s denn!
     
    19:02 Uhr: Mache mich auf den Weg zum vereinbarten Treffpunkt. Bin nervös und habe trotz der intensiven Vorbereitung das Gefühl, dass mein Look noch nicht perfekt ist.
Irgendetwas fehlt. Dann habe ich die zündende Idee. Ich mache Station am nächsten Kiosk und kaufe mir ein Big Pack West . Ganz Deutschland hört auf zu rauchen, da kann ich ja wieder damit anfangen. Außerdem passt das zu meinem neuen Lebensgefühl als Flatrate-Gigolo.
     
    19:22 Uhr: Sitze im Café und stelle Hochrechnungen an, wie der Abend mit Tanja verlaufen wird. Sie hatte mir per Mail verraten, dass sie seit drei Jahren solo ist und sich nichts sehnlicher wünscht, als endlich wieder mit einem attraktiven, sympathischen, warmherzigen Mann eine Nacht zu verbringen. Habe ihr daraufhin geantwortet, dass ich alle diese Kriterien erfülle und dass ich auch seit drei Jahren solo wäre und genauso empfinden würde. Meine hervorstechendste Charaktereigenschaft sei außerdem meine Ehrlichkeit.
    Als Treffpunkt habe ich übrigens ein Café vorgeschlagen, das direkt neben einem Hotel liegt. Nach drei Jahren Enthaltsamkeit will man schließlich nicht erst durch die halbe Stadt fahren, um ins nächste Bett zu gelangen.
     
    19:38 Uhr: Wir waren um halb acht verabredet, aber Tanja ist noch nicht da. Das ist in Ordnung. Zeigt mir nur, dass sie es ernst meint und sich Mühe gibt und daher aus strategischen Gründen ein wenig zu spät kommt. Schlürfe genüsslich von meiner Latte macchiato. Habe auf ein Kölsch verzichtet, weil mir Kaffee einfach kultivierter vorkommt. Dazu rauche ich auf der Terrasse des Cafés die zweite West des Tages.
    Ich erkenne Tanja sofort, weil sie genau so aussieht, wie auf dem ins Netz gestellten Foto. Sie ist vielleicht einen Meter siebzig groß, schlank (aber nicht klapprig), hat eine Oberweite
wie eine Schaufensterpuppe (nicht zu viel, nicht zu wenig), blonde Locken und einen leichten Schmollmund.
    Sie bleibt auf dem Bordstein vor den Cafétischen stehen und ist sich offenbar nicht ganz sicher, ob ich es wirklich bin. Kann ich ihr nicht übelnehmen. Man muss schon in seinem Kopf dieses Alterungs-Beschleunigungsprogramm durchlaufen lassen, um von meinem Onlinefoto auf mich zu schließen.
    Nachdem sie mein Gesicht ausführlich studiert hat und die Rechenoperation offensichtlich beendet ist, stockt sie und das hoffnungsvolle Lächeln verschwindet aus ihrem Gesicht.
    Ich stehe auf, will sie begrüßen und direkt auf das Thema mit dem Sex nach drei Jahren Enthaltsamkeit zu sprechen kommen, aber sie unterbricht mich und sagt: »Du rauchst.«
    »Was?«
    »Du rauchst.«
    »Willst du eine? Setz dich doch.«
    »Du Schwein, das hast du nicht angegeben. Du hast das Kreuzchen bei Nichtraucher gemacht.«
    Ich brauche ein paar Sekunden, um zu verstehen, was sie meint. »Hör zu, Tanja. Als ich mein Profil gemacht habe, war ich noch Nichtraucher. Ich habe vorhin erst wieder angefangen. Wirklich. Ich war nervös wegen unserem Date und …«
    »Ich glaube dir kein Wort. Wie kannst du nur bei so einem entscheidenden Detail lügen. Rauchen! Ich hätte mir den Weg sparen können.«
    »Aber, Tanja, sieh mich an! Alles andere war doch auch gelogen. Und einen Bart habe ich auch nicht mehr. Du kannst doch nicht nur wegen so einer Lappalie unser Date platzen lassen.«

    Erst jetzt scheint sie zu merken, dass in der Tat auch ein paar andere Details an mir nicht so ganz mit meinem Profil übereinstimmen. Seltsamerweise bringt diese Erkenntnis aber das Lächeln in ihr Gesicht zurück. »Um ehrlich zu sein, finde ich das eher eine positive Überraschung«, sagt sie. »Wirklich, du bist viel sympathischer als der Typ, als den du dich im Internet ausgibst.«
    »Also verzeihst du mir?«
    »Tut mir leid, aber ein Raucher kommt für mich eben echt nicht in Frage. Ich verlieb mich doch nicht in einen Mann, der Lungenkrebs bekommt, wenn ich mich nach zehn oder zwanzig Jahren gerade an ihn gewöhnt habe.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher