Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
insbesondere bei der Nahrungsaufnahme. Anders ausgedrückt, fehlt einem manchmal vielleicht irgendwo auch das Korrektiv. Tatsächlich lässt der Anblick der zwei die Bezeichnung »Volljuristen« [ 5 ] in ganz neuem Licht erscheinen.
Während sich die drei Kollegen also mit einem gesunden Appetit auf den Weg ins Schlundhaus machten, hatte der Kriminalrat Recknagel im Keller des rechtsmedizinischen Instituts alle Mühe, sein Frühstück bei sich zu behalten: Der Anblick der Leiche, an der sich der Pathologe ausgetobt hatte, war wahrlich nichts für schwache Nerven. Ein geöffneter und grob wieder zugenähter Torso, ein malträtierter Unterleib, das alles kann im Fernsehen vielleicht aufregend oder angenehm gruselig aussehen, im wirklichen Leben denkt man eher an einen Schlachthof.
Kriminalrat Recknagel brauchte dringend neue Erkenntnisse. Der Abgleich der an der Robe sichergestellten DNA mit der bundesweiten Sexualtäterdatei hatte zu keinem Ergebnis geführt. Offensichtlich hatten sie es mit einem unbekannten Ersttäter zu tun. Zudem hatten weder die am Taschentuch gewonnene DNA des Landrats noch die am Kaugummi gesicherten Spuren Übereinstimmungen mit den an der Robe aufgefundenen Spermaspuren aufgewiesen.
Auch die Befragungen im Freundes- und Familienkreis des Opfers hatten kaum Ertrag erbracht. Die Kminikowskis hatten, so viel ließ sich immerhin behaupten, eine unauffällige Ehe geführt – keine Skandale, aber auch keine Kinder. Dem Landrat wurden ein paar Affären nachgesagt, aber dabei konnte es sich auch um die übliche böse Nachrede der politischen Gegner handeln. Und davon gab es einige. Der Kminikowski war bei seiner Wahl auf einer unabhängigen Liste gestartet und hatte den großen Parteien ein Schnippchen geschlagen. Aber es hielten sich Gerüchte, dass er bei der nächsten Wahl für eine der etablierten Gruppierungen antreten wollte. Darüber waren seine Anhänger vom Bürgerkomitee natürlich alles andere als begeistert.
Die Frau an der Seite des schillernden Landrats indes war ein fast unbeschriebenes Blatt. Sie schien kaum Freunde in der Stadt gehabt zu haben, aber auch keine Feinde. Ihr Trachten und Streben hatte offenbar ganz allein ihrem Fortkommen als Richterin gegolten: Abitur in Passau, Jurastudium an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, wo sie im Repetitorium ihren späteren Mann kennenlernte, schließlich erfolgreiches erstes Staatsexamen mit elf Punkten, Note vollbefriedigend, was unter Juristen als Traumnote gilt. Vor allem in Bayern, wo die Prüfungen noch schwerer sind als anderswo, sagen zumindest die Bayern.
Gleich nach dem Studium hatte die Kminikowski nicht mal sechsundzwanzigjährig ihr Referendariat begonnen und mit Stationen beim Landgericht München, im Bayrischen Justizministerium und bei der UNO in New York absolviert. Nebenher hatte sie ihre Doktorarbeit geschrieben, die sie noch während ihres Referendariats einreichte und die immerhin mit der zweitbesten Note »magna cum laude« bewertet worden war.
Im zweiten Staatsexamen hatte sie dann den Vogel abgeschossen und war mit dreizehneinhalb Punkten als Jahrgangsbeste ausgezeichnet worden. Doch obwohl ihr danach die ganze Welt offenstand, hatte sie sich ausgerechnet für eine Laufbahn im Richterdienst des Freistaates Thüringen entschieden. Das muss man sich mal vorstellen! Natürlich hatte sie das nicht etwa der Landschaft oder gar der mageren Karriereaussichten wegen getan, sondern einzig und allein, so muss vermutet werden, aus sexueller Hörigkeit zu dem gescheiterten Jurastudenten Peter Kminikowski.
Zunächst war sie vom Justizministerium die üblichen drei Jahre als Proberichterin an das Amtsgericht Apolda abgestellt worden, von wo aus sie wiederum mit besten Empfehlungen an das Oberlandesgericht nach Jena hätte gehen können. Aber eine noch stärkere Macht hatte sie nach Meiningen gezogen, wo sie zur Richterin am Amtsgericht ernannt worden war und rasch auch zur Vizedirektorin avancierte.
Noch im selben Jahr hatte sie ihre Jugendliebe Peter Kminikowski geheiratet, der nach acht erfolglosen Semestern Jura an der LMU in München das Handtuch geschmissen hatte und längst nach Meiningen zurückgekehrt war. Den charismatischen Nichtsnutz hatte damals sonst noch niemand auf der Rechnung gehabt. Aber auch hier hatte sie auf das richtige Pferd gesetzt, denn keine zwei Jahre später war der einst belächelte Kommunalpolitiker mit breiter Mehrheit zum Landrat gewählt worden. Dass seine Frau hinter den
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