Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
fertigzustellen, um ihn an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten. Sollte sich doch die »Herrin des Ermittlungsverfahrens« über das lange Wochenende mit der Sache rumschlagen.
Inzwischen war der Fickel mit seiner illustren Entourage längst im Gasthof eingetroffen, der wie immer zur Mittagszeit gut gefüllt war. Das Schlundhaus ist nämlich nicht irgendein Restaurant: In den historischen Gemäuern des Gebäudes wurden seinerzeit die Original Thüringer Klöße erfunden, wie der verdienstvolle Meininger Heimatdichter Rudolf Baumbach zu berichten weiß: In seinem »Lied vom Hütes« hat er für nachfolgende Generationen die Sage festgehalten, wonach ein besonders strenger Winter in der sogenannten Kleinen Eiszeit sämtliche Weinstöcke an den ebenso fruchtbaren wie sonnigen Hängen habe erfrieren lassen, weil sich die Meininger mal wieder nicht gut benommen und dadurch den Zorn der heidnischen Götter auf sich gezogen hatten. Da die Meininger im Jammern aber schon immer spitze waren, hat sich die gute alte Frau Holle schließlich ihrer erbarmt und dem Bürgermeister, gewissermaßen als Ersatz für die Weinreben und als Beginn einer neuen Ära, persönlich das Rezept für die Kartoffelklöße überreicht und dazu die segensreichen Worte gesprochen:
»Du aber, Haupt des Magistrates,
Du leuchtend Licht des weisen Rathes,
Du Sohn uralten Stadtgeblühtes,
Hier hast Du das Receptum – hüt’ es!«
Und nur wegen der letzten zwei Worte dieses Reims werden die Thüringer Klöße in Meiningen seither ausschließlich »Hütes« genannt.
Natürlich hatte der Amthor von diesen kulturhistorischen Zusammenhängen nicht den geringsten Schimmer, denn er hatte ja nur eins im Sinn, nämlich sich extra das Teuerste zu bestellen, was er auf der Karte finden konnte, in diesem Falle Sauerbraten in Rahmsoße mit Apfelrotkohl und den hier und eben nur hier wirklich originalen Thüringer Klößen mit zwei gerösteten Weißbrotwürfeln im Innern. Das muss man sich mal vorstellen: Rahmsoße, bei seinen Cholesterinwerten! Aber da verstand der Amthor absolut keinen Spaß, Hauptsache, dem Fickel blieb von seinen illegal erworbenen Gebühren nichts in der Tasche. Dafür hätte er sogar glatt einen Zuckerschock riskiert. Prinzip ist Prinzip!
Die Driesel entschied sich nach einigem Zögern, ob sie aus gesundheitlichen Gründen nicht doch lieber das Ratatouille nehmen sollte, schließlich für den Schweinerollbraten in Kümmel-Bier-Senf-Soße. Natürlich auch mit Klößen. Dem Fickel war eher nach etwas Leichtem zumute, er bestellte, ohne in die Karte zu gucken, das Tagesangebot: Sülze nach Art des Hauses an Bratkartoffeln.
Als der Amthor anschließend aufstand, um mal kurz »für kleine Anwälte« zu verschwinden, nutzte die Driesel die Gelegenheit und fing gleich wieder mit ihrem Thema Nummer eins an. »Und? Haben Sie sich das mal überlegt mit dem Weinberg?«
Spätestens jetzt wurde selbst dem Fickel klar, wie ernst es der Driesel mit ihrem »Projekt« war. Schließlich besaß sie, wie sie stolz erklärte, schon ein geeignetes Hanggrundstück oben im Weingartental, auf dem sie ihren Riesling und Portugieser anzubauen gedachte. Der Fickel erinnerte sich dunkel an ein sonniges Grundstück mit einer romantischen Schmetterlingswiese und knotigen Bäumen, das die Driesel einst von der Treuhand erworben hatte. Aber um weiter zu expandieren, brauche sie eben noch Mitstreiter. Der Fickel wiederholte, und das war so gut wie überhaupt nicht gelogen, dass er wirklich herzlich gern mit von der Partie wäre, aber: »Leider, leider: die Finanzen …«
Die Driesel wollte das dieses Mal nicht mehr gelten lassen und meinte, dass sie einen gemeinnützigen Verein für lokalpatriotische Weintrinker gründen wolle, um Geld einzusammeln. Ob der Kollege sich nicht vorstellen könne, da mitzumachen? Der Fickel musste einen Moment nachdenken. Erstens kannte er in ganz Meiningen nicht einen einzigen »lokalpatriotischen Weintrinker«, im Grunde war das ein Widerspruch in sich, und zweitens wunderte er sich jetzt schon ein bisschen, warum die Driesel ausgerechnet ihn ins Vertrauen zog. Aber da machte die Amtsgerichtsdirektorin ihm ein interessantes Kompliment und meinte, der Fickel sei ein wichtiger »Multiplikator« in der Meininger Gourmetszene. So nennt man heutzutage nämlich Leute, die anderen ihre Ansichten aufdrängen.
Zum Glück kam in dem Moment der Amthor wieder zurück an den Tisch und würgte mit seiner puren Anwesenheit das Gespräch sofort ab.
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