Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
verständlich: erst die schöne Hose futsch, dann die Schmerzen in der Wade und jetzt auch noch auf den Gerichtskosten sitzen geblieben. Da waren jede Menge »bad vibrations« im Saal. Als der Postbote aber gar nicht mehr aufhören wollte zu schimpfen und die Worte »Rechtsbeugung« und »Unrechtsstaat« fielen, drohte ihm die Driesel konsequenterweise auch noch ein Ordnungsgeld an.
Kaum dass der Postbote aus dem Saal war, hob der Referendar an zu sprechen: »Ähem … Hätten wir bei der Sache eben nicht Beweis erheben müssen?« Die Driesel schüttelte den Kopf und meinte gelassen: »So ein Aufwand wegen der paar Kröten?« Der Referendar blickte die Amtsgerichtsdirektorin an, als hätte sie eine Gotteslästerung begangen. »Aber die Zett-Peh-Oh macht da, soviel ich weiß, keinerlei Unterschied hinsichtlich der Klagesumme«, erklärte er in ernstem Tonfall. »Die Zett-Peh-Oh nicht, aber ich!«, meinte die Driesel gemütlich und reichte dem Referendar die Akte rüber: »Und Sie schreiben mir bis Montag ein Urteil. Wir kennen uns ja noch nicht lange, aber ich lege Wert auf einen sauberen Tatbestand und einen exakten Tenor. Bei den Entscheidungsgründen suchen Sie sich gefälligst was Gescheites aus den Kommentaren zusammen. Wenn Sie auf mehr als drei Punkte bei Ihrer Bewertung aus sind, möchte ich eine richtig runde Abweisung haben. Verstanden?«
Der Referendar nickte eingeschüchtert und zog leicht verdattert mit der Akte ab. Die Driesel blickte ihm zufrieden hinterher. »Ist sowieso egal, was der schreibt. Die Entscheidung ist nicht berufungsfähig.« Dann lachte sie aus vollem Herzen los, dass der Fickel einen Moment lang glaubte, bei der Amtsgerichtsdirektorin sei der Rinder- oder Hirschwahnsinn ausgebrochen.
Aber da flog schon die Tür auf, und man hörte das typische Lungenrasseln des jahrzehntelangen KARO [ 4 ]-Kettenrauchers. Endlich hatte es auch der Amthor von seiner Couch in den Sitzungssaal geschafft. »Was ’s denn hier los? Schon fertig?«, dröhnte sein Bariton durch den Saal, und zwei Zentner reine Empörung bauten sich vor der Richterbank auf. »Das war mein Prozess!«, erklärte der Amthor ultimativ und klopfte mit der Faust auf den Tisch, dass der Plastik-Kuli mit der Lidl-Werbung von der Driesel auf den Boden fiel.
Die Driesel blickte fragend zum Fickel. Der zuckte entschuldigend die Achseln, murmelte »kleines Missverständnis«, und schon war er in der Tür. Aber der Amthor war natürlich auch nicht blöd. Als er den Fickel so schief grinsen sah, war er gleich im Bilde, was für ein abgezocktes Spiel hier gespielt wurde, und eilte ihm hinterher, dank Adrenalinausschüttung plötzlich fit wie ein Turnschuh. Erstaunlich, zu welchen Höchstleistungen so ein schwerfälliger Organismus in der Lage ist, wenn der Hormonspiegel stimmt! Der Amthor hätte den Fickel glatt windelweich geprügelt, wenn keine Zeugen anwesend gewesen wären. Und wenn er ihn gekriegt hätte. Denn der Fickel war ja mal … wie gesagt: Oberhof! Also fast Olympiakader!
Natürlich war die Nummer vom Fickel nicht gerade die feine englische Art gewesen, aber unter Terminhuren gilt wie überall im Tierreich der Grundsatz » Survival of the fittest« . Wenn der Amthor weniger rauchen und ab und zu einen Waldlauf hinlegen würde so wie der Fickel sonntags oben auf der Kastanienallee, dann würde er sich beim Wettlauf um die Mandate nicht mehr so leicht abkochen lassen. Trotzdem stank es ihm gehörig, wie alles gelaufen war. Schließlich war es beileibe nicht das erste Mal gewesen, dass der Fickel sich so eine Extratour geleistet hatte. Zum Schluss redete sich der Amthor derart in Rage, dass er kurz davor stand, sich bei der Anwaltskammer zu beschweren. Selbstredend war das nur eine leere Drohung. Aber weil er im Grunde seines Herzens ein harmoniesüchtiger Mensch ist, lud der Fickel den Kollegen als Wiedergutmachung kurzerhand zum Essen ins Schlundhaus ein, und guck mal einer an: Da wurde der Amthor ganz schnell wieder friedlich. Und weil sie keine Sitzungstermine mehr hatte, schloss sich ihnen sogar die Amtsgerichtsdirektorin an.
Die Driesel isst nämlich auch nicht so gerne in der Gerichtskantine, denn da gibt es nur »ausgewogene Ernährung«, und davon wird man, wenn man in Thüringen geboren wurde, nun mal nicht satt – jedenfalls, wenn man so stark gebaut ist wie die Driesel oder auch der Amthor. Schließlich hat man, wenn man wie die beiden seit zwanzig Jahren alleine lebt, eben seine lieb gewonnenen Angewohnheiten,
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