Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
doch ’ne feine Sache, hier auf der Terrasse zu sitzen und original Meininger Rieslingschorle zu schlürfen!«, fand er.
Der Rainer Kummer winkte sofort ab, erstens weil er Biertrinker ist, und zweitens, weil er für derart realitätsferne Spinnereien über zu wenig Fantasie verfügt. Auch der Kriminalrat meinte, er glaube nicht, dass er das noch erleben werde. Aber Micha fand die Idee als Gastronom längst nicht so weit hergeholt. Wie »man hörte«, wurden auf einem geheimen Grundstück unter Aufsicht eines Botanikers bereits testweise besonders wetterharte Reben angepflanzt. Und da dachte sich der Micha, die Goetzhöhle wäre im Grunde doch der ideale Weinkeller! Der Fickel hielt sich bei der Diskussion zurück und war nur erstaunt, wie weit die Pläne der Driesel offenbar schon vorangeschritten waren.
Als der Fickel mit dem Rainer Kummer in der einbrechenden Dämmerung den Kriminalrat Recknagel halb stützend, halb tragend talwärts geleitete, brannte im Justizzentrum im Büro der Oberstaatsanwältin noch Licht. Eine Sechzig-Stunden-Woche war im Leben einer Topjuristin eher die Regel als die Ausnahme. Aufmerksam las sie den Bericht der Mordkommission zum Stand der Ermittlungen. Die Kripo konnte sich über mangelnde Unterstützung durch die Bevölkerung wahrlich nicht beschweren. Inzwischen hatten über neunzig Prozent der Männer ihre DNA -Proben abgegeben. Es würde erfahrungsgemäß ein paar Tage dauern, bis die ersten Ergebnisse der Reihenuntersuchung aus dem Labor vorlagen. Aber die Oberstaatsanwältin hatte nicht vor, so lange die Hände in den Schoß zu legen. Akribisch prüfte sie die Listen der Männer, die sich hatten untersuchen lassen.
Die Gundelwein war gerade beim Buchstaben »I« angekommen, als es leise an die Tür klopfte. Auf einmal fühlte sich die Oberstaatsanwältin unwohl. Die Bilder der toten Kminikowski hatten ihr mehr zugesetzt, als sie wahrhaben wollte. Sie öffnete die Schreibtischschublade, in der sie für alle Fälle ein Elektroschockgerät aufbewahrte. Dann sagte sie mit möglichst souveräner, schneidender Stimme: »Ja, bitte?« Doch als die Tür aufging und sie den Mann im teuren schwarzen Anzug erkannte, machte sie die Schublade schnell wieder zu.
»Sie?«
Der Landrat deutete eine leichte Verbeugung an. »Verzeihen Sie die späte Störung, aber man sagte mir bei der Polizei, dass Sie wohl noch im Dienst seien.«
Die Oberstaatsanwältin kam nicht umhin, das blendende Aussehen des Landrats, ja sogar eine entfernte Ähnlichkeit mit George Clooney zu bemerken, was ihr bei ihrer ersten Begegnung in der Dunkelheit des Parks und in Anbetracht der Umstände entgangen war. Und er war auch nicht so zwergwüchsig wie die meisten Männer aus der Gegend; zwar nicht ganz so groß wie sie, aber gewiss einsfünfundachtzig. Immerhin! Instinktiv legte sie ein Bein über das andere und betonte damit ihre schlanken, vom Schwimmtraining gestrafften Beine, von denen sie wusste, dass sie sich sehen lassen konnten. Der Landrat hatte mit leiser, der Trauer angemessener Stimme gesprochen, ohne dabei larmoyant zu wirken. Die Oberstaatsanwältin hasste weinerliche Männer. Sie bot dem Landrat den Besucherstuhl an.
Der späte Gast dankte, setzte sich und schlug ebenfalls ein Bein übers andere.
Die Gundelwein wartete, dass Kminikowski zu sprechen anfing. Aber der machte zunächst keine Anstalten.
»Also … Wie kann ich Ihnen helfen?«, begann die Oberstaatsanwältin.
Der Landrat lächelte versonnen. «Sylvia hat mich auch immer so angesehen … Genau wie Sie jetzt.«
Die Oberstaatsanwältin schwieg unangenehm berührt ob dieses unangemessenen Vergleichs mit der Verstorbenen. Täuschte sie sich oder flirtete der Witwer etwa mit ihr?
»Wann kann ich sie beerdigen?«, fragte er. Die Gundelwein zuckte zusammen. Fast hatte es geklungen, als hätte er gesagt: »Wann kann ich Sie beerdigen?« Die Oberstaatsanwältin registrierte jedoch keine Feindseligkeit bei ihrem Gegenüber.
»Ich habe fürs Wochenende einen Termin auf dem Friedhof in Aussicht«, erläuterte der Landrat. »Aber bei der Polizei sagte man mir, Sie müssten die Leiche erst freigeben.«
Die Gundelwein antwortete mit professioneller Sachlichkeit: »Das ist kein Problem. Sie können Ihre Frau jederzeit bestatten. Wir haben alle Informationen, die wir brauchen.«
»Vielen Dank, Staatsanwältin Gundelwein!«
»Oberstaatsanwältin«, ergänzte die Gundelwein schnell, aber im nächsten Moment hasste sie sich für die Bemerkung. Wie viele
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