Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
wurde aus so einer schlichten Koinzidenz mir nix, dir nix ein Notzuchtverbrechen gezimmert – einfach, weil man sich das irgendwie vorstellen konnte, der junge Heißsporn und die gestrenge Ausbilderin, so à la Reifeprüfung oder Harold und Maude , obwohl die Kminikowski ja noch längst keine achtzig gewesen war, sondern im Gegenteil irgendwo noch ganz »appetitlich«. Und wenn sich die Kriminalisten so ein Verbrechen mit einem selbst in der Hauptrolle erst mal so richtig gut vorstellen konnten, dann war guter Rat teuer!
Andererseits konnte man den Ehrgeiz der Ermittler durchaus verstehen. Als der Fickel sich die Fotos vom Tatort angesehen hatte, wie die Richterin Kminikowski im Gebüsch lag, im eigenen Schmutz, mit verrenkten Extremitäten und aus den Höhlen getretenen Augen, da hatte er sich direkt in Grund und Boden geschämt – einfach nur, weil er dem gleichen Geschlecht angehörte wie der Kerl, der so eine Sauerei angerichtet hatte. Und obwohl der Fickel grundsätzlich [ 15 ] ein durch und durch friedliebender Zeitgenosse ist, juckte es ihn gewaltig in der Hand, diesem verdammten Triebtäter einen auf die Zwölf zu geben. In dem Punkt ging es ihm keinen Deut anders als den Kollegen vom SEK .
Langsam näherte er sich dem Gefängnis, einer Südwestthüringer Variante von Alcatraz. Untermaßfeld ist vielleicht der Ort in Deutschland, dessen Bevölkerung den höchsten Prozentsatz an Strafgefangenen aufweist. Bis zu dreihundertfünfundvierzig Delinquenten saßen heute noch hinter den Mauern und Zinnen der einstigen mittelalterlichen Wasserburg ein. Und das bei amtlich gezählten tausenddreihunderteinundsiebzig Einwohnern!
Das Kribbeln in Fickels Faust hörte auch nicht auf, als er endlich nach x Gefängnistoren und -schleusen im Anwaltszimmer des Untersuchungsgefängnisses saß und der René Schmidtkonz von einem Wärter reingeführt wurde. Bei ihrer Begegnung kürzlich im Gerichtssaal hatte er dem neunmalklugen Rechtsreferendar nicht viel Beachtung geschenkt. In dem Wissen, dass es sich um den geliebten einzigen Enkel seiner Vermieterin handelte, hatte er sich nun fest vorgenommen, seinem Mandanten eine faire Chance zu geben. Aber sein Eindruck ließ sich trotz aller guten Vorsätze mit einem Wort ziemlich treffend zusammenfassen: Backpfeifengesicht.
Der Fickel hätte wahrscheinlich selbst nicht genau sagen können, woran er das im Detail festmachte. Schließlich war es nicht ganz fair, jemanden für eine feiste Physiognomie, ein konturloses Kinn oder gar eine für das jugendliche Alter bereits außerordentlich hohe, von Pickeln übersäte Stirn verantwortlich zu machen. Aber manchmal genügte ja einfach ein wässriger Blick, ein schiefes Grinsen oder auch ein lascher Händedruck, um so eine gewisse fischige Aura zu verbreiten – oder wie es der Rainer Kummer ausdrücken würde: »Das Gesamtpaket stimmt einfach nicht.«
So ein spontaner Eindruck kann leicht irreversibel sein, zumal der René weiter fleißig Minuspunkte sammelte. Zum Beispiel, indem er hier im Gefängnis weiter mit anachronistischem Selbstbewusstsein sein blaues Hemd zu Markte trug, als säße er immer noch auf der Richterbank. Und wie er mit dieser ihm eigenen, vermutlich angeborenen Arroganz seinen Pflichtverteidiger musterte! Da verabschiedeten sich flugs auch noch die letzten Sympathiegefühle in den Urlaub.
Das Gespräch kam denn auch eher schleppend voran, um nicht zu sagen: überhaupt nicht. Dem Fickel fehlte als Terminhure ein bisschen die Praxis im Umgang mit Mandanten und Psychopathen. Trotzdem fand er es durchaus merkwürdig, dass der René Schmidtkonz offenbar nicht nur gegenüber den Strafverfolgungsbehörden die Aussage verweigerte, sondern auch gegenüber dem eigenen Anwalt. Und da sah er es irgendwo auch nicht ein, sich von so einem Milchbart vorführen zu lassen, und dachte, wenn der Knabe nicht reden will, auch gut, dann muss man das eben respektieren! Irgendwann überlegte es sich der René Schmidtkonz kurzfristig doch noch anders und meinte: »Sind Sie nicht der Untermieter meiner Oma?« Und Fickel antwortete: »Komisch, und ich dachte, ich bin Ihr Pflichtverteidiger.«
Daraufhin lächelte der René derart herablassend, dass dem Fickel die Galle schon wieder kurz vorm Überlaufen war, und meinte süffisant, in dem Falle müsse er sich ja für die nächsten fünfzehn Jahre nichts weiter vornehmen. Fünfzehn Jahre ist nämlich die Zeitspanne, die ein lebenslänglich verurteilter Mörder in Deutschland mindestens
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