Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
auf einmal Mord? Doch als er nach diesem langen Tag endlich in seinem Bett lag, träumte er, er wäre Matlock [ 13 ] und stünde in einem schneeweißen Anzug im Gerichtssaal, um vor aller Welt und seiner Exfrau für Recht und Gerechtigkeit einzustehen.
Und so haben eigentlich alle an Christi Himmelfahrt noch eine ruhige Nacht verlebt, außer dem Rainer Kummer, dem von seinem Fahrradsturz immer noch gehörig der Schädel dröhnte. Der René Schmidtkonz konnte in seiner ersten Nacht im Untermaßfelder Knast vielleicht auch nicht so gut schlafen. Aber das hatte er sich, wie sich noch herausstellen sollte, irgendwo selbst zuzuschreiben.
IV
Als die Oberstaatsanwältin Gundelwein am nächsten Tag zur Arbeit erschien, war sie bereits geladen. Das Theaterstück am Abend war gut besucht gewesen, allerdings überwiegend von Rentnern, die offenbar keine Karten für das Haupthaus bekommen und sich mit Karten für die Kammerspiele getröstet hatten, Hauptsache Kultur! Die Inszenierung war ihr zunächst angenehm ambitioniert erschienen, nur die brennende Mülltonne auf der Bühne wirkte hier in der thüringischen Provinz komplett fehl am Platz; die pensionierten Studienräte in den Zuschauerreihen lauschten mit großen Ohren den Dialogen, die mit Großstadtslang gespickt waren, und klatschten nach der Vorstellung höflich distanziert. Der Abend hatte der Oberstaatsanwältin zum x-ten Mal vor Augen geführt, dass dieses Nest verdammt weit weg vom Schuss war, weit weg von allem, was das Leben für eine Frau mit gewissen Ansprüchen lebenswert machte.
Aus Frust, weil das Schwimmbad schon geschlossen gewesen war, hatte sie seit längerer Zeit mal wieder ihr Profil in der Internetpartnerbörse gecheckt. Nur siebenundzwanzig Zuschriften. Akademiker um die vierzig, die mindestens einen Meter neunzig maßen, waren auch im Internet rar gesät. Immerhin war unter den siebenundzwanzig Männern einer dabei gewesen, der ihr eine orthografisch nicht zu beanstandende Mail geschickt hatte: »Hallo, ich bin über Ihr Profil gestolpert. Sind Sie ein Stolperstein oder ein Goldnugget?« Der Rechner hatte hundertzwanzig von hundertsechzig möglichen »Matchingpunkten« angezeigt. Das war keine schlechte Quote, für eine Frau mit ihrer Körpergröße und ihren Ansprüchen sogar fast eine sensationelle!
Andererseits: Das letzte Mal, als jemand so gut mit ihr »gematcht« hatte, war sie ausgerechnet an den Fickel geraten. Immerhin stattliche ein Meter dreiundneunzig, nicht direkt unsportlich, mittelgut aussehend, auf der Suche nach einer »selbstbewussten und bodenständigen Thüringerin, Rothaarige bevorzugt«. Sie war wirklich so naiv gewesen, dem Computer zu vertrauen, und hatte sich nach einigen verheißungsvollen Treffen sogar extra von Erfurt nach Meiningen versetzen lassen, denn dass dieser Mann so an seiner kleinen Welt haftete, hatte sie in der ersten Gefühlsverwirrung noch nicht als Makel empfunden.
Damals, nach ihren ersten erfolgreichen Karriereschritten, hatte sie noch der Illusion aufgesessen, berufliches und privates Glück ließen sich vereinbaren. Aber nach wenigen Monaten war sie eines Morgens in diesem südwestthüringischen Kaff plötzlich mitten in der Realität aufgewacht, und der »erfolgreiche Anwalt mit vielseitigen Interessen« hatte sich als ein absolut ehrgeizloser Winkeladvokat entpuppt, der nur seine lächerlichen Hobbys und sein leibliches Wohl im Sinn hatte, kurz: ein Provinzstiesel der allerschlimmsten Sorte. Statt eines gepflegten gesellschaftlichen Umgangs hatte sie nur unzählige Grill- und Saufgelage auf der Datsche erlebt, statt der erhofften Reisen in ferne Länder lediglich Wochenendausflüge in die Rhön.
Trotz ihrer schlechten Erfahrungen mit Internetbekanntschaften hatte sich die Gundelwein von der Mail des Unbekannten spontan angesprochen gefühlt. Goldnugget oder Stolperstein – das regte die Fantasie an und forderte dazu auf, Position zu beziehen. Zunächst hatte sie sicherheitshalber sein Profil gecheckt: ein Oberarzt aus dem Raum Eisenach, geschieden, zwei Kinder, ein Meter neunzig. Obwohl im Ausweis der Oberstaatsanwältin ein Meter neunundachtzig als Körpergröße vermerkt war, war er damit einen Zentimeter kleiner als sie. Das ließ sich gerade noch verschmerzen. Am Morgen hatte sie gleich nach dem Aufstehen neugierig in ihrem Postfach nachgesehen, doch der Arzt hatte ihr nicht zurückgeschrieben. Und das, obwohl die Oberstaatsanwältin gestern Abend geschlagene zwei Stunden an einer, wie sie
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