Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
Gewohnheit.
Irgendwann kam das Gespräch wieder auf die aktuelle Mordgeschichte, die immer noch in aller Munde war. Der Schock über den Tod der Kollegin Kminikowski saß nach wie vor tief, aber noch tiefer saß das Bedürfnis, sämtliche Neuigkeiten über den Fall zu erfahren. Der Fickel musste minutiös über den Verlauf seines heutigen Anhörungstermins berichten, und die anderen gaben ihre mehr oder minder fachmännischen Kommentare dazu ab. Logisch, dass da auch die eine oder andere Zote über den Tisch flog, denn beim Juristenstammtisch herrscht natürlich Männerüberschuss.
Eine von den wenigen anwesenden Frauen war die Sozialrichterin Pörtje, die kürzlich ein paar Monate wegen eines akuten Burn-outs »in Kur« verbracht hatte und jetzt wieder gesellschaftlich Anschluss suchte, den sie zuvor streng genommen aber eigentlich auch nicht gehabt hatte. Und so saß sie am Tisch und musste die ganze Zeit abwechselnd kichern und husten, weil sie nämlich einerseits noch unter dem Einfluss der Psychopharmaka stand und andererseits ausgerechnet neben dem Amthor platziert war.
Der Fickel tat natürlich einen Teufel, geheime Details aus dem Gespräch mit seinem Mandanten preiszugeben. Aber schon die Tatsache, dass in dem pathologischen Abschlussbericht das Fehlen von »vergewaltigungstypischen Verletzungen« vermerkt war, führte am Tisch zu einigen wilden Spekulationen. Exemplarisch sei der Standpunkt vom Amthor genannt, der brummte: »Für manche Frauen ist heutzutage jede Intimität gleichbedeutend mit Vergewaltigung!« Er als jahrzehntelanger Single musste es schließlich wissen.
Die Pörtje kriegte sich ob der launigen Bemerkung ihres Tischnachbarn kaum wieder vor Lachen, und der Amthor hustete, was die Lungenbläschen hergaben. Der Fickel hätte gern noch ein paar Ratschläge von fachkundiger Seite für sein weiteres Vorgehen mitgenommen, aber die Driesel würgte die sich anbahnende Diskussion über die Beweiswirkung von Indizien mit ihrer unschlagbaren Argumentationstechnik ab: »Vergewaltigung bleibt Vergewaltigung, und Mord bleibt Mord.«
Der Fickel meinte daraufhin skeptisch, warum sein Mandant die Kminikowski dann überhaupt erwürgt haben sollte, wenn man ihm die sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung gar nicht hätte nachweisen können. Aber da wies ihn die Driesel mit der Erfahrung aus fast vierzig Jahren juristischer Praxis in zwei Rechtssystemen in die Schranken, indem sie nüchtern und mit bestechender Logik antwortete: »Weil man einer Richterin mehr glaubt als einem Referendar.«
Auch wenn die Driesel da natürlich grundsätzlich recht hatte, ging es dem Fickel seit seinem heutigen Gespräch mit dem René genau andersherum. Dass die Kminikowski ermordet worden war, ließ sich schlechterdings nicht leugnen, aber was die Vergewaltigung anging, da war sich der Fickel inzwischen längst nicht mehr so sicher. Doch von dem geheimnisvollen Stalker, den der Richter Hager jüngst beim Essen erwähnt hatte, war auch am Juristenstammtisch niemandem etwas bekannt. Der Amthor hatte die spontane Idee, dass sich ein Prozessteilnehmer aus einem laufenden Verfahren einen Vorteil versprochen haben könnte, indem er kurzerhand die Richterin beseitigte. Aber die Kminikowski hatte allgemein nicht nur den Ruf, eine brillante Juristin und hervorragende Richterin, sondern auch stets um Ausgleich zwischen den Parteien bemüht zu sein, was ein gezieltes Attentat eher unwahrscheinlich machte.
Der Amthor zündete sich schmollend eine neue Zigarette an, und als Nächstes gab die Pörtje eine Kostprobe ihrer kriminalistischen Fantasie, die möglicherweise von den Nebenwirkungen der Psychopharmaka noch beflügelt wurde. Aber als Sozialrichterin hatte sie natürlich im Alltag ziemlich oft mit den Sachbearbeiterinnen vom Landratsamt zu tun. Und wie man von der Seite so munkeln hörte, litt der Landrat Kminikowski unter Donjuanismus im fortgeschrittenen Stadium, wobei von »leiden« im engeren Sinne natürlich keine Rede sein konnte.
Da kriegte der Fickel natürlich solche Ohren, nach all den Indiskretionen, die er vom René erfahren hatte. Aber die Pörtje wusste leider keinerlei Einzelheiten und auch keine Namen, denn es gibt so eine Art Naturgesetz, dass der Tratsch über den Chef immer in seinem Hause bleibt. Trotzdem ließ sich die Pörtje zu Spekulationen hinreißen: »Es wäre immerhin denkbar, dass ein eifersüchtiger Ehemann oder Liebhaber …« Doch da intervenierte wiederum die Driesel mit ihrem messerscharfen
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