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Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)

Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)

Titel: Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Henner Hess
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Verstand: »Dann würde derjenige wohl eher den Landrat umbringen als seine Frau, gell?«
    Da war die Pörtje mit ihrem Latein am Ende und bestellte sich gleich noch eine Weinschorle. Das Gespräch kreiste von nun an wieder um die üblichen Themen: die Anwaltsversorgung, das Beamtenrecht, mehr oder weniger exotische Reiseziele und Küchenrezepte sowie die Inkompetenz nicht anwesender Kollegen.
    Sehr viel weiter gekommen war der Fickel mit seinen Überlegungen an diesem Abend zwar nicht, dafür war seine Moral, die nach dem desaströsen Anhörungstermin in den Keller gerauscht war, inzwischen zumindest wieder auf Parterreniveau. Dazu hatten natürlich auch die drei Köstritzer beigetragen, sodass ihn einige der anwesenden Juristen schon warnten, sich lieber nicht mehr ans Steuer zu setzen. Aber mit der geballten Kompetenz einer Amtsgerichtsdirektorin und eines Rechtsanwalts auf der Rückbank – wenngleich es nur der Amthor war – sah der Fickel einer etwaigen Polizeikontrolle einigermaßen gelassen entgegen. Nachdem er den Kollegen Amthor am ehemaligen Kraftverkehr [ 22 ] abgesetzt hatte, kletterte die Driesel zu ihm nach vorn auf den Beifahrersitz, um noch ein »Hühnchen mit ihm zu rupfen«.
    Während der Fickel den Wartburg das Weingartental hinaufquälte, wobei der schwachbrüstige Dreizylinder beinahe so herzzerreißend jammerte wie kürzlich der Dynamo an Fickels Fahrrad, musste er der Driesel genauestens berichten, was ihm der René heute für eine Story aufgetischt hatte. Als er fertig war, schwieg die Driesel so lange, dass der Fickel schon glaubte, sie sei neben ihm eingeschlafen. Doch beim Einschlagen des Lenkrads stellte er fest, dass sie nur blicklos ins Dunkel starrte. Er erkundigte sich, was die Amtsgerichtsdirektorin von der ganzen Geschichte halte, und da ermahnte sie ihn als »mütterliche Freundin«, sich bei der Verteidigung seines Mandanten bloß nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Gerade solche Gespräche wie am heutigen Abend würden nur die Gerüchteküche befeuern. Als Strafverteidiger sei er nicht dazu auserkoren, die Ermittlungsarbeit der Polizei zu erledigen, sondern lediglich, das Beste für seinen Mandanten rauszuholen. Der Fickel erwiderte, dass sich das manchmal eben nur schwer trennen lasse, vor allem, wenn der Mandant unschuldig sei und ihm niemand glaube. Aber da belehrte ihn die Driesel mit mahnender Stimme: »Paragraf eins für jeden Pflichtverteidiger lautet: Der Mandant lügt!«
    Und weil der Fickel mit diesem wie nahezu mit allen Paragrafen nichts anfangen konnte, erläuterte ihm die Driesel das Phänomen, dass die meisten Delinquenten, die während ihrer Taten ohne jedes Mitgefühl mit ihren Opfern agieren, hinterher plötzlich eine Art Selbstmitleid entwickeln, das sie davor schützt, sich mit ihrer eigenen Grausamkeit auseinanderzusetzen. »Der Wunsch, ein besserer Mensch zu sein, wird plötzlich übermächtig«, erklärte sie. »Deshalb konstruiert das Gehirn eine eigene Version der Tat und setzt es an die Stelle der eigentlichen Erinnerung. Interessant, gell?«
    Der Fickel war ganz von den Socken, wie gut sich die Amtsgerichtsdirektorin im Strafrecht und mit Täterpsychologie auskannte, und erkundigte sich, ob sie also tatsächlich glaube, dass der René Schmidtkonz die Kminikowski umgebracht habe. Die Driesel überlegte einen Moment und sagte: »Juristisch gesehen schon.« Damit stieg sie ächzend aus und wünschte eine »gute Nacht«. Und der Fickel konstatierte für sich: Einen Sachverhalt juristisch zu sehen, beinhaltete offenbar nicht, ihn von allen Seiten zu betrachten.
    Als er eine Viertelstunde später endlich nach Hause kam, wartete die Schmidtkonz schon ungeduldig auf ihn. Und da musste er seine Vermieterin ganz behutsam darauf einstellen, dass sich die Untersuchungshaft ihres Enkels nun doch noch etwas länger hinziehen könne als ursprünglich gehofft. Die Herkunft des Spermas an der Robe der toten Richterin erwähnte er allerdings nicht, eine Großmutter muss auch nicht alles wissen!

V
    Als der Fickel am nächsten Morgen aufstand und im Pyjama in die Küche schlurfte, um sich einen Kaffee zu machen, stand er plötzlich einer jungen Frau mit rotblonden Haaren gegenüber. Und es ist immerhin bemerkenswert, wie schnell der Fickel seinen Bauch einziehen und sich den Sabber aus dem Mundwinkel kratzen kann, wenn’s drauf ankommt.
    Aber die Nadin hatte sowieso kaum einen Blick für den Fickel übrig. Sie wirkte sehr blass und hatte blau umrandete und

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