Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
will doch Juristin werden!«, erklärte sie mit einem Hauch Dramatik in der Stimme.
Der Fickel konnte da nur milde lächeln. »Betrachten Sie es als praktische Übung. Ein kreativer Umgang mit der Wahrheit gehört zum Geschäft.«
Doch Nadin blieb zurückhaltend, offenbar kämpfte sie mit Gewissensbissen. Plötzlich stand sie abrupt auf. »Grüßen Sie René von mir!«, bat sie mit schwacher, zittriger Stimme. »Und sagen Sie ihm, es tut mir sehr leid!«
Ohne näher auszuführen, was genau ihr eigentlich so leidtat, stürmte sie, offensichtlich von ihren eigenen Gefühlen überwältigt, aus der Wohnung. Ein bisschen wunderte sich der Fickel schon über ihr merkwürdiges Verhalten. Andererseits war es in Anbetracht der Neuigkeiten, die sie zu verdauen hatte, auch verständlich, dass sie ein bisschen durcheinander war. Jedenfalls hatte der Fickel nicht das Gefühl, dass sein Mandant viel von der Nadin zu erhoffen hatte. Zugleich konnte er schon nachvollziehen, dass er sich wegen dieser Frau in eine schwierige Lage gebracht hatte. Der Fickel wurde direkt ein bisschen nostalgisch bei dem Gedanken: Wenn man noch mal Mitte zwanzig wäre und wüsste, was man als angehender Mittvierziger wusste …
Als die Frau Schmidtkonz vom Einkaufen zurückkam, wunderte sie sich, dass der Fickel immer noch im Schlafanzug in der Küche saß und versonnen in einer Tasse viel zu starken Kaffees rührte. Während seine Vermieterin Rindsrouladen mit Speck, Senf und sauren Gurken zum Schmoren vorbereitete, machte sich der Fickel startklar und wühlte verzweifelt in seinem Kleiderschrank auf der Suche nach schwarzen Klamotten. Schließlich wollte gerade er als Verteidiger des mutmaßlichen Täters bei der Beerdigung der Kminikowski keinesfalls aus dem Rahmen fallen. Doch es war wie verhext: Ausgerechnet die Hemden und Sakkos aus Fickels existenzialistischer Phase waren offenbar allesamt eingelaufen! Da half auch »rauslassen« nichts mehr. Zum Glück hatte die Schmidtkonz noch den Smoking ihres verstorbenen Gatten im Keller, der ein ähnliches Gardemaß aufgewiesen hatte wie der Fickel. Doch komisch: Obwohl der selige Herbert Schmidtkonz weit über zwei Zentner gewogen hatte, passte der Fickel da perfekt rein.
Natürlich war es dem Fickel schon aus Prinzip zuwider, das Wochenende mit einem Arbeitstermin einzuläuten, andererseits war die Kminikowski irgendwo eine Kollegin gewesen, weshalb er ein Stück weit auch aus privater Anteilnahme zu ihrer Beerdigung ging. Aber so viel scheint ihm die Kminikowski persönlich dann auch nicht bedeutet zu haben, denn sonst hätte er auf der Fahrt zum Friedhof nicht ununterbrochen an die Rouladen denken müssen, die daheim in der Küche im Topf schmorten und schon appetitlich dufteten.
Fast die komplette Meininger Gesellschaft hatte sich auf dem Friedhof versammelt: die Familie der Verstorbenen, die eigens aus Passau angereist war, die ortsansässigen Vertreter der Justiz, das halbe Landratsamt und sonstige kommunale Würdenträger bis hin zum Bürgermeister. Den Rest bildeten Schaulustige und andere »persönlich Betroffene«. In der Kapelle herrschte ein Gedränge fast wie beim Wasunger Karnevalsumzug; vorn an der Urne stapelten sich die Kränze und Gebinde, sogar der Justizminister hatte einen Strauß weißer Gladiolen aus Erfurt geschickt. Der Fickel drückte sich mit dem Rücken an die Wand, froh, in der Menge unerkannt untertauchen zu können.
Plötzlich gab es in den vorderen Reihen eine kleine Aufregung, weil ein offensichtlich geistig verwirrter junger Mann sich bis zur Urne vorgekämpft hatte und unter unartikulierten Rufen anfing, Blumen aus den Gebinden zu reißen und diese in die Luft zu werfen. Die Trauergäste in den ersten Reihen wussten jetzt natürlich nicht, wie sie auf den unverhofften Blumenregen reagieren sollten – einerseits pietätlos und empörend, andererseits: der arme Behinderte! Da wollte man auch nicht ins Fettnäpfchen treten. Die Trauergäste guckten sich gegenseitig an und mauerten, denn der Kerl war zu allem Überfluss ein wahrer Hüne mit furchterregend breiten Schultern, einem schauerlichen Buckel und einem bedenklich platten Schädel. So einem war alles zuzutrauen.
Wieder einmal war es der Landrat, der als einziger Courage bewies. Unter den bangen Blicken der Trauergäste erhob er sich von seinem Platz in der ersten Reihe, legte dem tobenden jungen Mann seine Hand auf die Schulter und redete beruhigend auf ihn ein. Zur allgemeinen Erleichterung tauchten kurz
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